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Kommentar Anschlag in MünsterErklären, was nicht zu erklären ist

Der Täter scheint ein Einzeltäter gewesen zu sein – und die Tat keine politisch motivierte. Darüber erleichtert zu sein, greift zu kurz und ist falsch.

Der Täter hätte kaum durchschnittlicher sein können – es braucht keine wie immer gearteten Randgruppen, um zu morden Foto: dpa

Ein Mann rast mit seinem Campingbus in eine friedliche Menge von Kaffeehausbesuchern, tötet dabei mindestens zwei Menschen und verletzt viele andere. Danach erschießt er sich selbst. Einer Logik und Vernunft folgenden Gesellschaft fällt es schwer, so etwas Unbegreifliches zu akzeptieren wie diese Tat in Münster. Das ist verständlich, entspricht es doch dem Impuls nach Aufklärung eines solchen Verbrechens. Doch der Versuch, eine offenbar irrationale Tat rationaler Logik zugänglich zu machen, hat seine Tücken.

Wenn rechte Politiker kurz nach der Tat, wie hier geschehen, von einem islamistischen Hintergrund schwadronieren, dann steht dahinter ganz offensichtlich der Wunsch, einen Mord für eigene Zwecke politisch zu instrumentalisieren. Aber auch hinter der in linken Kreisen gestellten Vermutung, der Täter könnte rechtsradikalen Kreisen entstammen, steckt die Vorstellung, die Tat ließe sich entsprechend unseres politischen Koordinatensystems einordnen. In beiden Fällen gilt: Der Täter möge dem eindeutig Bösen entstammen.

Nach dem derzeitigen Stand der polizeilichen Ermittlungen aber trifft weder das eine noch das andere zu. Die Tat hat offenbar keinerlei politischen Charakter. Und schon wendet man sich ab, verbucht das Ganze als Amoklauf eines Irrsinnigen, dem keine weitere Bedeutung zuzumessen ist.

Das ist falsch.

Erleichterung ist fehl am Platz

Denn auch die vermeintlich politisch motivierten Täter, die Menschen wahllos umbringen und sich dabei oder anschließend selbst in die Luft jagen, folgen mit ihrer Tat ja nicht unbedingt einer rationalen Logik. Viele von ihnen nutzen eine Ideologie, um ihrer Tat eine größere Bedeutung zu geben und posthum publizistischen Ruhm einfahren zu können. Mit den vermeintlichen Drahtziehern der Tat sind sie in Wahrheit oft eher lose vernetzt. So wird das eigentlich Unerklärliche erklärlich.

Der Täter von Münster war nach allem, was wir bisher wissen, ein weißer deutscher Mann mittleren Alters im Besitz eines Führerscheins und ohne jeden Migrationshintergrund. Durchschnittlicher geht es kaum. Die beunruhigende, wenn auch nicht ganz neue Erkenntnis lautet: Nein, es braucht keine wie immer gearteten Randgruppen, um zu morden. Anleihen einer politischen Ideologie sind nicht notwendiger Bestandteil der Begründung einer Amoktat.

Erleichterung, dass dies keine vermeintlich politische Tat war, ist deshalb völlig fehl am Platz. Aber eine Frage bleibt dann doch: Wie bitte war es möglich, dass der polizeilich nicht unbekannte Täter über eine Schusswaffe verfügen konnte? Nicht nur die überlebenden Opfer und ihre Angehörigen warten dringend auf eine Antwort.

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19 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ein sehr kluger Kommentar, der bereits in der Überschrift auf das Entscheidende hinweist: die U n m ö g l i c h k e i t einer Erklärung. Die Tat hinterlässt große Ratlosigkeit und Ohnmacht. Letztere wurde dem Täter in anderen Medien auch unterstellt. Mag sein. Dabei wäre es völlig unerheblich, ob der Täter arm oder vermögend ist.

     

    Ohnmacht ist ein G e f ü h l, kein fest stehender, objektiver Sachverhalt. Vor Jahren wurde im Fall Anders Breivik auf bestimmte biografische Faktoren hingewiesen und damit das Unerklärbare zu erklären versucht.

     

    In beiden Fällen greift dieses (aus einem Kontrollbedürfnis erwachsende) Vorgehen zu kurz. Es gibt keine Gefährdungsskala, nach der mit einem "Wenn ... dann ..." Muster verifizierbare Risikoabwägungen getroffen werden könnten. Viele Menschen mit Ohnmachtserfahrungen führen ein gänzlich unauffälliges und gewaltfreies Leben.

     

    Eine Tat wie in Münster ist ohne den Preis totaler Kontrolle weder vorhersehbar noch zu verhindern. Selbst wenn der Täter polizeibekannt war.

     

    Die Ängste bleiben. Und jeder muss seinen Weg finden, damit angemessen umzugehen.

  • Wir könnten davon abkommen, an der Art der Tötung ein Muster erkennen zu können. Dann bleibt die Erklärung eine von einem Amoklauf eines psychisch schwer erkrankten Menschen, der ein effektives Mittel zur Tötung von Menschen nutzt, dass dass in seiner Idee lediglich einer terrorist. Vorlage zu entstammen scheint. Die Autonutzung können wir dazu nicht effektiv kontrollieren. Wir können nur darüber sinnieren, wie ein Mensch in diese Lage gerät und ob es gesellschaftlich begünstigende Umstände dafür gibt. Vorderst sollten wir aber die Hinterbliebenen der Opfer im gesellschaftlichen Kontext um Verzeihung bitten, weil wir es einerseits durch unser Wegschauen von den Problemen einzelner Menschen, anderseits durch wenige Hinterfragung einer technisiert- martialischen Umwelt die Tat begünstigten. Letztendlich stehen wir alle mit in der Verantwortung, wenn Verrohung im Miteinander zunimmt.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @lions:

      Ihr Kommentar enthält aus meiner Sicht wichtige Hinweise.

       

      Erstens jener auf die kollektive Verantwortung, auch wenn kein eigener aktiver Beitrag am Geschehen vorliegt.

       

      Zweitens die Bitte um Verzeihung. Wir alle haben die Hinterbliebenen der Opfer um Verzeihung zu bitten, auch wenn wir selbst keine Täter waren.

       

      Drittens das, was Sie gesellschaftlich begünstigende Umstände nennen. Auch wenn wir die als Einzelperson nicht schaffen, tragen wir in der Gesamtheit die Verantwortung dafür.

       

      Danke für Ihre weitenden Gedanken.

  • Woher die Waffe stammt, ist doch völlig irrelevant, denn das Schlimmste dürfte ja wohl die Tat vor dem Selbstmord gewesen sein!!!

     

    Das es Menschen in unserem Land gibt, die hier absolut nicht mehr ein noch aus wissen, dürfte auch jedermann bewusst sein, denn was die Politik sich alles so leistet, kann schon mal im Einzelfall enorm destruktiv sein!

     

    Menschen, mit chronischen Krankheiten, die keinerlei Behandlung mehr erfahren und somit trotz ihres mittleren Alters, bereits aufs Abstellkleis geschoben werden, sind nur kleine Beispiele, bei denen man sich einen derartigen Amoklauf vorstellen kann.

     

    Überlegt man einmal wie viele Menschen durch die Sozialgesetzgebung innerhalb kürzester Zeit in den Ruin und somit am den äußerten Rand der Gesellschaft gedrängt werden, ist es verwunderlich, dass nicht viel mehr in dieser Richtung passiert.

     

    Das eben nicht jeder geschasste sofort zu einer Amokfahrt oder Ähnlichem greift, ist wohl der hiesigen, größten Teils gewaltverabscheuenden Mentalität geschuldet, nicht wie in den USA, wo jeder mit einer Schusswaffe durch die Gegend läuft. Wer eine Schusswaffe gekauft hat, ist meistens auch gewillt damit Gewalt anzuwenden, auch wenn man immer nur hört, dieser Kauf sei ja nur zur Verteidigung. dies ginge auch mit Pfefferspray oder einem Taser!

     

    Die gesamte Politik und auch die Gesellschaft sollte endlich beginnen einmal darüber nachzudenken, wie frustrierend die geltenden Gesetze sich auf die Menschen auswirkt, die durch die Anwendung, ohne jede Rücksicht auf einzelne, Existenzgefährdend ist.

     

    Bringen wir noch mehr Menschen an den Rand ihrer Existenz, dürften sich auch solche Fälle von Amoktaten, die nicht politisch motiviert sind, viel öfter ereignen!

    "In einem Land in dem wir gerne Leben" ist die Aussage von Merkel, ohne zu berücksichtigen, das durch ihre neoliberale Politik immer mehr Menschen gegenüber der Wirtschaft, der Industrie und der Banken verarmen!

     

    Umverteilung von Oben nach Unten kann diese Spirale unterbrechen!!!

    • @urbuerger:

      „Umverteilung von Oben nach Unten kann diese Spirale unterbrechen!!!“

       

      Zu Ihrer Information: „Wie WDR, NDR und die Süddeutsche Zeitung berichten, galt Jens R. als vermögend und besaß mehrere Wohnungen in Münster, der sächsischen Landeshauptstadt Dresden und der ostsächsischen Kleinstadt Pirna.“

    • @urbuerger:

      Sie instrumentalisieren die Opfer ganz genauso wie Frau von Storch.

  • Die Erleichterung in linken Kreisen, dass es diesmal kein Terrorist mit islamistischem Hintergrund gewesen ist, war spürbar. In manchen Kommentaren wurde geradezu bejubelt, dass es keinen muslimischen Hintergrund gab. Endlich mal kein Täter, der es eigentlich gewesen sein darf, weil das politisch nicht in den Kram passt. Und umgekehrt sind manche Rechte wie B. v. Storch vorschnell damit vorgeprescht, dass sie zu UNrecht einen islamistischen Hintergrund unterstellt haben. Aus meiner Sicht sind linke wie rechte ziemlich gleich bescheuert in ihren Vorurteilen.

  • Ich finde das nicht so unerklärlich. Wer wissen will warum Menschen Amok laufen der kann es nachlesen. Die Täter von Columbine haben ihre Motivation vor der Tat ziemlich detailiert niedergeschrieben.

    Ein Buch das sehr aufschlussreich ist was Menschliche Abgründe angeht ist "Ganz normale Männer: Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die "Endlösung" in Polen". Die bittere Wahrheit ist nämlich das ganz gewöhnliche Menschen zu unerträglichen Taten in der Lage sind.

     

    Manche Menschen entwickeln einen derartigen Groll gegen die Welt das sie möglichst vielen Menschen die Unerträglichkeit ihres Seins verdeutlichen wollen.

     

    Wurde in der taz eigentlich der aluhut/vegane Terroranschlag auf Youtube thematisiert?^^

    • @Januß:

      Nun muss allerdings das Motiv des Täters von Münster nichts mit dem der Columbine Attentäter zu tun haben. Nach jedem "Amoklauf" muss geklärt werden, warum ein Mensch so gehandelt hat.

       

      Münster unterscheidet sich beispielsweise zum Columbine-Amoklauf, dass der Täter vermutlich keinerlei persönliche Beziehung zu seinen Opfern hatte, während die beiden jungen Männer in Columbine soweit ich weiß die Schule besucht hatten, an der sie um sich geschossen haben.

      "Die bittere Wahrheit ist nämlich das ganz gewöhnliche Menschen zu unerträglichen Taten in der Lage sind."

       

      Don't say, Sherlock. Also für diese Erkenntnis muss man nicht mal Hobby-Soziologe sein.

       

      "Wurde in der taz eigentlich der aluhut/vegane Terroranschlag auf Youtube thematisiert?^^"

       

      Sie meinen die Schießerei, deren Motiv wohl Eifersucht war? Keine Ahnung, wie man das witzig finden kann.

      • @Jan Berger:

        Das kann durchaus richtig sein. Es geht mir jetzt auch nicht darum ob die Motive in diesem konkreten Fall zu 100% mit denen der Columbine Täter übereinstimmten. Es geht mir eher darum das nach jedem Amoklauf wieder Entsetzen und Fassungslosigkeit herrschen. Das kann man sich sparen, es zeugt von grenzenloser Naivität auch nach dem X. mal immer noch entsetzt und fassungslos zu sein.

         

        "Sie meinen die Schießerei, deren Motiv wohl Eifersucht war? Keine Ahnung, wie man das witzig finden kann."

         

        Nein es hat sich nicht um eine Tat aus Eifersucht gehandelt. Die Frau war Wütend, weil sie glaubte Veganer Content würde auf Youtube aus politischen Gründen kategorisch benachteiligt. (Was für politischen Content aller Lager auch zutrifft.)

    • @Januß:

      Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

      Die Moderation

      • @Hampelstielz:

        @taz: und sowas geht durch die Moderation?

      • @Hampelstielz:

        Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Tag! ;-)

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...eine 'Antwort', auf was? Das ein Mensch, "polizeilich bekannt"?, die Kontrolle über sich verloren hat?!

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Nein, daß er mit einer Knarre rumlaufen konnte und Amokgedanken hegte, ohne daß unserem Freund und Helfer, seinem guten Bekannten, das ein oder andere aufgefallen wäre.

      • @kditd:

        Um zu verhindern das Menschen die Amokgedanken hegen Waffen haben dürfen müsste der Staat die Gedanken seiner Bürger lesen. Der wahre Hintergrund dieser (Schein-)Frage ist der Wunsch eine Diskussion über eine weitere Verschärfung des Waffenrechtes anzustoßen.

        • @Januß:

          Und was wäre an einem schärferen Waffengesetz falsch? Meiner Ansicht nach haben Schusswaffen in den Händen von Zivilisten eh nix verloren.

          • @Jan Berger:

            Der Täter durfte die Waffe auch nach dem aktuell schon sehr strengem deutschen Waffenrecht nicht haben.

             

            Durch verschärfte Waffengesetze lassen sich eben nur die "braven" BürgerInnen die Knarren abnehmen...

             

            ...nicht missverstehen: ich plädiere deshalb aber auch nicht für eine Lockerung...

          • @Jan Berger:

            Ich besitze zwar keine Waffen aber trotzdem geht es mir gegen den Strich wie in verschiedenen Bereichen plakativ Gesetzesändeurngen durchgezogen werden um den Eindruck von Handlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. In diesem Fall ist nur der Täter durch die Waffe gestorben. Unschuldige wurden nur mit einem Fahrzeug getötet. Dennoch kommt niemand auf die Idee eine Diskussion über das Verbot von Kraftfahrzeugen zu initiieren. Jedes Verbot seitens des Staates ist erklärungsbedürftig.