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Kommentar Aktive SterbehilfeWürde und Wahlfreiheit

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Aktive Sterbehilfe verleitet nicht zu Fahrlässigkeit. Sie gibt aber die Chance, den eigenen Todeszeitpunkt selbst zu bestimmen.

Die meisten Sterbenden werden mehr oder weniger leiden. Aber muss das denn sein? Foto: Marcelo Leal/Unsplash

I n zwei scheinbar einfachen Sätzen über das Ende des Lebens stecken sowohl Sprengkraft als auch ein großes Dilemma. Zwei Sätze, die Mitte dieser Woche fielen, als das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über eine brisante Frage verhandelte: Soll Sterbehilfe in Deutschland erlaubt sein oder nicht? Den einen Satz sagte der Stuttgarter Palliativmediziner Dietmar Beck: „Ich wünsche mir die Freiheit, eine tödliche Spritze zu geben, wenn jemand, der todkrank ist, darum bittet.“ Den anderen Satz sagte Winfried Hardinghaus vom Deutschen Hospiz- und Palliativverband: „Leiden gehört immer zum Tod dazu.“

Im Gegensatz zu Ländern wie der Schweiz, Belgien und den Niederlanden, wo aktive Sterbehilfe möglich ist, steht sie in Deutschland seit drei Jahren unter Strafe. Der damalige CDU-Gesundheitsminister Hermann Gröhe hat das Verbot seinerzeit mit dem Strafparagrafen 217 durchgesetzt.

Dagegen klagen nun Schwerkranke, Ärzt*innen und Sterbehilfevereine. Der Palliativmediziner Beck ist einer von ihnen. In der Verhandlung erzählte er von einer schwer kranken 80-Jährigen, der im Krankenhaus der selbstbestimmte Tod mithilfe einer Spitze verweigert wurde. Stattdessen wurde ihr das sogenannte Sterbefasten ermöglicht. Dabei verzichten die Betroffenen auf Essen und Trinken – bis sie tot sind.

Wer schon einmal einen Menschen auf diese Weise hat sterben – und leiden – sehen, fragt sich ernsthaft, warum das als menschenwürdig gilt. Und wer bereits selbst auf die Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung verzichten musste – jenseits des allseits beliebter werdenden Heilfastens –, bekommt möglicherweise eine Ahnung davon, wie qualvoll das ist. Der Sterbeprozess der 80-Jährigen, von der Beck dem Verfassungsgericht berichtete, dauerte etwa drei Monate.

Medizin kann Leben nicht unendlich machen

Möglich, dass Leiden zum Tod dazugehört. Doch die wenigsten Menschen sterben im Schlaf, jedes Jahr erleiden 120.000 Menschen in Deutschland den plötzlichen, nur kurz schmerzhaften Herztod. Bei fast 950.000 Toten im Jahr ist das eine zu vernachlässigende Zahl. Die meisten Sterbenden werden mehr oder weniger leiden. Aber muss das denn sein? Muss jemand mit einer unheilbaren Lungenkrankheit tatsächlich unter Qualen ersticken? Warum nimmt man einem alten Menschen, der lieber eher als später sterben will, die letzte Würde, indem man ihn „zu Tode pflegt“?

Pflege ist eine – für alle Seiten – in der Regel harte wie würdelose Angelegenheit: Da wird gefüttert, gesabbert und gekotzt, eingepinkelt, eingeschissen und geblutet. Da wird herumgelegen und gejammert vor Schmerzen. Den Satz „Ich möchte sterben“ hört das Pflegepersonal jeden Tag.

Dem medizinischen Fortschritt ist es zu verdanken, dass Brustkrebs in vielen Fällen heilbar ist, antiretrovirale Therapien verlängern das Leben HIV-Positiver um ein Vielfaches, an Masern muss niemand mehr sterben, der geimpft ist. Das Leben unendlich machen, das kann Medizin allerdings nicht, das wird sie nie können.

Selbstbestimmung ist angeblich hohes Gut

Aber sie kann dafür sorgen, dass das Lebensende von Menschen so schmerzfrei und so würdevoll wie möglich vonstattengeht. Warum nicht mit Hilfe Dritter? Laut einer Forsa-Umfrage entspricht das dem Willen von 70 Prozent der Menschen in Deutschland.

taz am wochenende

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Der Erfahrung von Mediziner*innen aus Ländern mit legaler Sterbehilfe zufolge sinkt die Selbsttötungsrate, sie steigt nicht, wie hierzulande von manchen befürchtet wird. Und niemand, schon gar nicht Mediziner*innen, Pfle­ger*innen und Angehörige werden „einfach so töten“, wie Ärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgommery behauptet.

Erwiesen ist auch, dass sich Menschen besser fühlen, wenn sie, statt zu einem Sterbehilfeverein in die Schweiz reisen zu müssen und so den eigenen Tod unmittelbar vor Augen zu haben, ihren Todeszeitpunkt durch eine Spitze selbst bestimmen und auch wieder verschieben zu können.

Wir leben in einer Zeit, in der angeblich Selbstbestimmung und Wahlfreiheit hohe Güter sind. Politiker*innen und Verfassungsgericht können jetzt zeigen, wie ernst es ihnen damit ist.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • So ein Quatsch:



    "Dabei verzichten die Betroffenen auf Essen und Trinken – bis sie tot sind.

    Wer schon einmal einen Menschen auf diese Weise hat sterben – und leiden – sehen, fragt sich ernsthaft, warum das als menschenwürdig gilt. Und wer bereits selbst auf die Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung verzichten musste – jenseits des allseits beliebter werdenden Heilfastens –, bekommt möglicherweise eine Ahnung davon, wie qualvoll das ist."



    Ja, ich habe einen Menschen so sterben sehen, meine Mutter. Sie wollte nicht mehr essen, sie wollte nicht mehr trinken. Wir befeuchteten Ihre Mundhöhle regelmäßig mit etwas Flüssigkeit, Wasser oder etwas Saft, Eis, etwas Sekt. Schlucken wollte sie nicht mehr. Ein Körper, der nicht mehr kann, das alles nicht mehr verstoffwechseln kann, der sich im Sterben befindet, will das auch nicht. Da ist Zufuhr von Flüssigkeit durch Tropf eine Qual, das Wasser sammelt sich in der Lunge, es muss ständig gehustet werden, der Atmen wir immer schwerer.



    So aber starb sie schmerzfrei, in Frieden. 6 Tage dauerte das, ich war fast ständig bei ihr. Sie bekam noch Besuch, nach drei TAgen sprach sie nicht mehr, lächelte und schlief viel. Auf die Fragen der Palliativmediziner / oder Pfleger / Innen antwortete sie mit Nicken oder Kopfschütteln. Haben Sie Schmerzen? Schütteln. Geht es Ihnen gut? Nicken. Sie sah mir oft lange in die Augen, mit einem Lächeln. Leichter Händedruck, während ich ihre Hand hielt. Sie durfte friedlich hinübergleiten. Bis zwei Minuten vor ihrem Tod in vollem Bewusstsein. Und sie war und ist nicht die einzige.



    Frau Schmollack, was schreiben Sie denn für einen Müll? Fragen sie mal richtig nach und vergleichen Sie sterbenskranke Menschen nciht mit vitalen, die sich nach Essen und Trinken sehnen, wo der Organismus das verlangt.

  • Miserere

    Die Söhne des Glückes beneid ich nicht



    Ob ihrem Leben, beneiden



    Will ich sie nur ob ihrem Tod,



    Dem schmerzlos raschem Verscheiden.

    Im Prachtgewand, das Haupt bekranzt



    Und Lachen auf der Lippe,



    Sitzen sie froh beim Lebensbankett -



    Da trifft sie jählings die Hippe.

    Im Festkleid und mit Rosen geschmückt,



    Die noch wie lebend blühten,



    Gelangen in das Schattenreich



    Fortunas Favoriten.

    Nie hatte Siechtum sie entstellt,



    Sind Tote von guter Miene,



    Und huldreich empfängt sie an ihrem Hof



    Zarewna Proserpine.

    Wie sehr muß ich beneiden ihr Los!



    Schon sieben Jahre mit herben,



    Qualvollen Gebresten wälz ich mich



    Am Boden und kann nicht sterben!

    O Gott, verkürze meine Qual,



    Damit man mich bald begrabe;



    Du weißt ja, daß ich kein Talent



    Zum Martyrtume habe.

    Ob deiner Inkonsequenz, o Herr,



    Erlaube, daß ich staune:



    Du schufest den fröhlichsten Dichter, und raubst



    Ihm jetzt seine gute Laune.

    Der Schmerz verdumpft den heitern Sinn



    Und macht mich melancholisch;



    Nimmt nicht der traurige Spaß ein End,



    So werd ich am Ende katholisch.

    Ich heule dir dann die Ohren voll,



    Wie andre gute Christen -



    O Misere! Verloren geht



    Der beste der Humoristen!

    Heinrich Heine