Kommentar Ärztemangel: Leidtragende sind die Patienten
Falsch verteilte Gelder, egoistische Kommunen, zu hohe Honorare. Es gibt nicht zu wenig Ärzte. Aber die Verantwortlichen blockieren sich gegenseitig.
E s gibt nicht zu wenige Ärzte in Deutschland. Es gibt sogar mehr denn je. Aber sie erhalten die falschen Anreize, und die Verantwortlichen tun dagegen zu wenig.
Dass in Orten wie Hoyerswerda ausländische Ärzte die medizinische Versorgung sichern, erscheint wie eine willkommene Ironie: Gerade der demografische Wandel verschafft schrumpfenden Städten hochqualifizierte Einwanderer. Doch damit wird Deutschlands Strukturproblem nicht gelöst, nur verlagert. Osteuropa verliert eine ganze Generation gut ausgebildeter Mediziner.
Hierzulande arbeiten fast 31.000 ausländische Mediziner – mehr als doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Insgesamt gibt es 360.000 Ärzte – ein Zuwachs von rund 50.000. Trotzdem beklagt die Bundesärztekammer einen „Ärztemangel“. Verantwortlich sei eine alternde Bevölkerung, die immer mehr und komplexere Medizindienstleistungen verlange. Mehr Mediziner wünschten sich eine Teilzeitstelle, gleichzeitig gingen viele Ärzte in Ruhestand.
Das alles ist schon richtig. Aber das sind nicht die wichtigsten Ursachen für den Ärztemangel in der Eifel, im Bayerischen Wald, in Sachsen und Brandenburg. Verantwortlich ist auch ein schäbiger Machtkampf. Bundesärztekammer, Kassenärztliche Vereinigungen, Bundesländer und Kommunen blockieren sich wechselseitig.
Da sind die niedergelassenen Mediziner. Ihre Lobbyvertreter erstreiten ihnen seit Jahren weit überdurchschnittliche Honorarzuwächse. Doch lenken Bundesärztekammer und Kassenärztliche Vereinigungen das Geld nicht an die richtige Stelle: in ländliche und ärmere Gegenden, in denen viele Hausärzte vergeblich Nachfolger suchen. Deren Zahl sinkt.
Es herrscht Stillstand
Da sind die Kommunen. Viele von ihnen beharren auf „ihrer“ Klinik, auch wenn diese unrentabel und nicht auf dem neuesten Stand ist. Zu selten helfen sie bei der Gründung medizinischer Versorgungszentren oder Gemeinschaftspraxen. Dabei können darin Mediziner auch in Teilzeit arbeiten.
Und da sind die Bundesländer. Zu selten nutzen sie die Möglichkeit, Mediziner durch Stipendien oder günstige Darlehen dazu zu verpflichten, nach dem Studium mehrere Jahre auf dem Land zu arbeiten.
Stattdessen herrscht nur Stillstand. Leidtragende sind die Patienten und das Gesundheitssystem, das sie finanzieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin