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Kommentar ÄgyptenUnschöner Nachgeschmack

Jannis Hagmann
Kommentar von Jannis Hagmann

Staatsstreich? Putsch? Aufstand? Das Vorgehen des Militärs wird von vielen Ägyptern begrüßt. Die Repressionen jetzt geben allerdings zu denken.

Ein junger Ägypter vor einem Anti-Mursi-Graffito, das sich vorerst erledigt hat. Bild: Andre Pain/dpa

Z ugegeben: Wenn man die Begeisterung in den Gesichtern der Menschen auf dem Tahrir-Platz sieht, wenn man Jung und Alt tanzend durch die Straßen Kairos ziehen sieht, fällt es schwer, den Staatsstreich in Ägypten zu verurteilen.

Nachdem das Militär den islamistischen, aber eben frei gewählten Präsidenten Mohammed Mursi am Mittwochabend entmachtet hat, ist die Freude noch immer überwältigend. „Wir lieben das Militär“, hört man immer wieder in den Straßen Kairos. Mursi ist weg – das ist es, was für die Jubelnden momentan zählt.

Das Argument, die Ägypter hätten bis zu den nächsten Wahlen warten sollen, um der Regierung die Quittung zu präsentieren, ist schwach. Es mag plausibel klingen in den Ohren überzeugter Demokraten im Westen, nicht aber in denen derer, die stundenlang an Tankstellen anstehen, denen täglich der Strom abgestellt wird und die aufgrund des ausbleibenden Tourismus' und einer hinkenden Wirtschaft ihr tägliches Brot nicht mehr verdienen können.

taz

ist Redakteur der taz und hält sich derzeit in Ägypten auf.

Es zeugt auch von einem fragwürdigen Demokratieverständnis, allein auf Wahlen zu setzen. Für viele Mursi-Gegner war die Entmachtung des Präsidenten durch das Militär kein Putsch, sondern die folgerichtige Reaktion der Generäle auf die breite Protestbewegung. Das Militär habe doch gar nichts gemacht, argumentieren sie, die Millionen von Menschen seien es gewesen, die Mursi gestürzt hätten.

Doch das ist nur die eine Seite. Es dauerte keine 24 Stunden, bis das Militär eine Kampagne gegen die Muslimbrüder startete, die stark an die repressive Politik von Ex-Diktator Hosni Mubarak erinnert. Der Führer der Muslimbruderschaft, Mohammed Badia, sein Vorgänger Mohammed Mehdi Akif und seine Stellvertreter Raschad al-Bajumi und Saad al-Katatni wurden ins Gefängnis geworfen. Gegen andere Muslimbrüder wurden Haftbefehle ausgestellt. Auch gegen die Medien gingen das Militär hart vor und schloss Fernsehkanäle, die der Muslimbruderschaft nahestehen.

Es bleibt ein enorm unschöner Nachgeschmack nach dem von einer breiten Protestbewegung unterstützten Militärputsch. Vor allem aber stellt sich die Frage, wie es nach der Konfrontation zwischen Militär und Islamisten weitergehen soll. Es wird unmöglich sein, in einem auch nur annähernd demokratischen System die Muslimbrüder aus dem politischen Prozess herauszuhalten.

Der Übergangspräsident Adli Mansur kündigte zwar bereits an, sie in eine neue Regierung einbinden zu wollen. Dass diese aber kategorisch ablehnten, mit den neuen Machthabern zusammenzuarbeiten, erstaunt nicht. Es ist dies der erste Vorgeschmack auf die Reaktion der Muslimbrüder, die nach Jahrzehnten der Unterdrückung durch demokratische Wahlen an die Regierung gekommen sind – um nach nur einem Jahr bereits wieder gestürzt zu werden.

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Jannis Hagmann
Redakteur Nahost
ist Redakteur für Nahost & Nordafrika (MENA). Davor: Online-CVD bei taz.de, Volontariat bei der taz und an der Evangelischen Journalistenschule Berlin, Studium der Islam- und Politikwissenschaft in Berlin und Jidda (Saudi-Arabien), Arabisch in Kairo und Damaskus. Er twittert unter twitter.com/jannishagmann
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9 Kommentare

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  • M
    mediterrane

    An den Kommentaren merk man das die Deutschen mit Gewalt zu Demokratie gebombt worden sind, denn wenn sie aus Überzeugung Demokraten geworden wären, würden sie die demokratischen Prinzipien nicht so schnell über Boot werfen und eine Militärjunta applaudieren.

  • E
    edwin

    Hätte doch damals unser Militär die demokratisch gewählte NSDAP auch weggeputscht... schade, dass es hier damals kaum verantwortungsbewusste (und zwar gegenüber der Verfassung) Generäle gab.

    Wenn eine - auch demokratisch gewählte - Regierung grundlegende Rechte ausser Kraft setzt, ist es die Pflicht von Militär und Polizei, einzugreifen.

    Guckt eigentlich auch jemand nach Ungarn?

  • E
    Enerbanske

    Die MB waren schon eifrig dabei, die "Demokratie", durch die sie an die Macht gelangt sind, zu beseitigen und durch ein religiös-totalitäres Regime zu ersetzen. Überhaupt verstehe ich die ganze Aufregung um diesen sogenannten "Militärputsch" nicht. Wir erinnern uns: Auch Adolf Hitler wurde demokratisch gewählt und heute wirft man der Wehrmacht (bzw. deren Offizieren) Feigheit vor, weil sie ihn und seine Kollegen nicht beseitigt haben.

     

    Das Letzte, was die Welt braucht, sind Staaten mit einer Scharia-basierenden Rechtsordnung und genau das hatten die MB vor. Wer da jetzt Pol-Cor-mässig die Demokratie in Gefahr sieht, weil ein für eine Staatsführung völlig ungeeigneter Mann leichtsinnigerweise mit einer Mehrheit gewählt und jetzt abserviert wurde, sollte sich einmal überlegen, wie Volksentscheide wohl bei uns aussähen und warum diese unterbunden werden. "Demokratie"......lächerlich.

  • R
    Rosa

    Einen unschönen Nachgeschmack hinterläßt doch eher die Tatsache, daß

     

    EU-Volltrottel wie EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy

    "der ägyptischen Regierung Hilfsgelder in Höhe von 5 Milliarden Euro angeboten (hat), um den „Übergang zur Demokratie“ in Ägypten zu unterstützen":

     

    http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2013/01/465940/fuenf-millionen-euro-fuer-aegyptische-islamisten-eu-haelt-hilfe-fuer-notwendig/

     

    Wer also glaubt es gäbe in Europa irgendwelche Finanzkrisen, der irrt sich völlig.

     

    Denn auch in die Palästinensergebiete werden Millionen gepumpt.

     

    Wer nun aber so naiv ist und glaubt, es gäbe irgendeine Gegenleistung oder Kontrolle, was mit den Geldern geschieht,

    der lebt auf einem anderen Planeten.

     

    Keiner weiß genau, wo die Gelder verbleiben.

     

    Solange also die EU das Geld seiner Steuerzahler derart mit vollen Händen aus dem Fenster schmeisst, kann doch von einer EU-Finanzkrise nicht die Rede sein.

  • SM
    Stefan Meixner

    Die Muslimbrüder sind antidemokratisch eingestellt und haben die Demokratie lediglich als Vehikel benutzt um an die Macht zu kommen. Sie haben das Volk von vorne bis hinten belogen. Dass sie abgesetzt wurden, zeugt davon, dass offensichtlich das ägyptische Volk mehr Souverän ist, als in den ganzen westlichen Musterdemokratien, die sich von ihrer Politkaste längst die Macht aus der Hand haben nehmen lassen. Und auch bei uns sollten die Leute, die alles in ihrer Macht stehende tun, um unsere freiheitlich, demokratische Grundordnung zu beseitigen, verhaftet werden. Dies ist das, was man eine wehrhafte Demokratie nennt. Dass nun gerade die Politiker, die mit Rechtsstaat und Demokratie so überhaupt nix am Hut haben, die Entmachtung eines faschistoiden Regimes verurteilen ist nicht weiter verwunderlich - man soll das Volk ja nicht auf Ideen bringen. Aber dass die taz in diese Heuchelei einstimmt - weia.

  • VL
    vergessene Liebe

    Scheiss-Situation da im `alten âgypten´ eeh !

    Die Protestbewegung schreit nach freiheitlich- modernen Bedingungen, die nur durch irgend Art säkulärer Staatsverfassung im Sinne des Geistes der Aufklärung mit Demokratie erreicht werden kann.

    Mursi gewann die Wahl durch humanistische Argumentation - jedoch mit verborgener Strategie von Islamisierung.

    Und nun ist die Protestbewegung wieder aufgewacht weil Mursis Strategie `nicht im Interesse der âgyptischen Bevölkerung ist´.

    Und so hat das Ägyptische Militär Mursi und seine islamische Bruderschaft `abgesetzt´...

    ---------------

    Einerseits um einen Bürgerkrieg zwischen der Protestbewegung und dem religiösen MachtLager Mursi zu vermeiden .

    Andererseits um der Entwicklung von tragfähiger Demokratie globalen Stils in Ägypten dienlich zu sein.

    Oder?

    Wer sind die `logistischen Herren´ über den Ägyptischen Militärapparat ?

    Das sind m.E. die USA, mit CIA, NSA etc.

    Die gebunden sind, der `Stabilität´ des globalen USA Imperiums zu dienen...

    ( siehe die Veröffentlichungen von Ex-NSA Mr. Snowden )

    Das Schicksal des Staates Ägypten liegt m.E. in der Hand - letzendlich- von USA-CIA-NSA und deren Machtorganen.. als die `logistischen Herren´ über den Ägyptischen MilitärRat .

    Inwieweit die bisherige Ägyptische Protwestbewegung irgend Stabilität gegen den MilitärRat entwickelt hat, ist eine offene Frage. (meine ich)

    Es ist zu hoffen, dass die `logistischen Herren´ hinter dem Ägyptischen MilitärRat sich als gnädig und modern- aufklärerisch- friedliebend postulieren- und so auch agieren!

    Um weitere Destabilisierung im Nahen Osten zu verhindern ! (siehe Syrien !)

  • T
    Timelot

    Stell dir vor die Bundeswehr putscht die Christlichen Parteien unter dem Jubel der Stadtbevölkerung hinfort :)

  • H
    hto

    Das die USA (und nicht zu vergessen auch unsere Profiteure!) kein Interesse an "Demokratie" in Ländern der Perepherie des "freiheitlichen" Wettbewerbs haben, das zeigt sich daran wer, wann und wie Waffen geliefert oder gestrichen kriegt - wenn Chaos und / oder Diktatur in diesen Ländern herrscht, dann gibt es SELBSTVERSTÄNDLICH keine Fragen, wenn der friedliche Aufbau dieser "Demokratie" nicht klappt / nicht klappen kann!?

     

    Der "unschöne Nachgeschmack", der war auch schon zur Zeit als das "Wirtschaftswunder", die "sozialen Errungenschaften" und die "Entwicklungshilfe" im Rausch unserer Verkommenheit abgefeiert wurden - die Worte dieses immernoch selben Übels werden heute noch abgeschmackter dem Zeitgeist entsprechend verdreht und serviert!!!

  • F
    Florian

    Wie sagt man doch so schön:

     

    Was du mit Gewalt erobert hast, kannst du nur mit Gewalt behalten. Und die Militärs werden nicht Ihre Rechte und Privilegien aufgeben, da wird dann halt weiter geputscht bis der richtige wieder da ist.

     

    Nur weil man den "Regierenden" rauswirft, heisst das nicht, dass sich was ändert. Noch immer ist das Militär der Dratzieher im Hintergrund.