piwik no script img

Kommentar ÄgyptenAb jetzt ein unregierbares Land

Karim El-Gawhary
Kommentar von Karim El-Gawhary

Es ist schwer sich vorzustellen, dass die Ägypter noch einmal wählen gehen, ohne sich gegenseitig umzubringen. Wer auch immer übernimmt, wird kaum regieren können.

Nun Teil des Konlikts: Die Armee in Ägypten ist keine Vermittlungsinstanz mehr. Bild: reuters

D ass Ägypten nicht von den Muslimbrüdern alleine regiert werden kann, diese Lektion haben die Ägypter gelernt. Jetzt steht die nächste an: Das Land kann auch nicht ohne die Muslimbrüder regiert werden. Es könnte eine sehr blutige Lektion werden, besonders nach dem blutigen Montag, an dem das Militär das Feuer auf Pro-Mursi-Demonstranten eröffnet hat, was immer sich am Ende als Grund dafür herausstellen wird. Die einen sehen sich als Opfer eines Militärputsches, die anderen verteidigen ihre Armee als Retter der Nation.

Beide Seiten stehen sich unversöhnlich gegenüber. Viele derjenigen, die gegen Mursi in den letzten Tagen auf den Straßen waren, rufen nun, gerne auch via Twitter, dazu auf, die Muslimbrüder „fertigzumachen“. Es geht hier nicht um ein paar Tausend: Millionen Ägypter sollen fertiggemacht werden.

Die Muslimbrüder selbst haben nach den tödlichen Schüssen auf ihre Mitglieder ihre Märtyrer bekommen und rufen zum Aufstand auf. Das Problem ist, dass es keine neutrale staatliche Institution gibt, die die Gewaltspirale aufhalten kann. Die Armee scheidet mit der Beseitigung Mursis und auch mit den Schüssen am Montagmorgen als Vermittlungsinstanz aus.

taz
Karim Gawhary

ist Ägypten-Korrespondent der taz.

Und das Ganze findet in einem Vakuum legitimer Autorität statt. Die Übergangsperiode hin zu Präsidentschaftswahlen hat den denkbar schlechtesten Start bekommen. Mit der salafistischen El-Nour-Partei hat sich nun die letzte Vorzeigegruppe des politischen Islam aus den Verhandlungen für eine Übergangsregierung abgemeldet. Die wird nur eine der beiden Seiten des polarisierten Landes abbilden.

Gefährliche Entwicklungen

Daher ist es gar nicht mehr wichtig, wer der nächste Regierungschef wird, denn er wird ein unregierbares Land verwalten. Vor ein paar Tagen konnte man noch hoffen, dass es so früh wie möglich zu Präsidentschaftswahlen kommt, um erneut der Führung des Landes eine demokratische Legitimität zu geben. Jetzt ist es schwer, sich vorzustellen, dass die Ägypter noch mal vor den Urnen Schlange stehen, ohne sich gegenseitig umzubringen.

Der Montag wird zwei Entwicklungen einleiten, die für Ägypten gefährlich sind. Er wird endgültig eine Radikalisierung des politischen Islam auslösen. Und dazu führen, dass sich in einem unregierbaren Land die Armee noch mehr in der Politik verstrickt. Und wo bleibt die gute Nachricht? Im Moment gibt es keine.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Karim El-Gawhary
Auslandskorrespondent Ägypten
Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • RY
    Reagan Youth

    @Rosa:

     

    die Attentäter des 20.Juli haben also im Namen der Demokratie gebombt? Ich glaube da sollten sie nochmal recherchieren. Ansonsten Zustimmung zu ihrem Beitrag.

  • C
    Checkpoint

    Was wird jetzt aus den Menschen in Gaza?

  • R
    Rosa

    @ Herr Keuner:

     

    "Der Preis wird sein: Demokratie, Menschenrechte und Freiheit.":

     

    Seit wann hat der politische Islam was mit Demokratie, Menschenrechte und Freiheit zu tun?

    Demokratie ist unislamisch, wird höchstens als Fahrzeug benutzt,

    um an die Macht zu kommen.

     

    Universale Menschenrechte können Sie auch vergessen, denn es gilt die Scharia.

    Wo bleibt da die Freiheit?

     

    "Die kann man schlecht im Namen der Demokratie wegbomben.":

     

    Doch. Die Attentäter des 20.Juli 1944 haben es wenigstens versucht.

  • HK
    Herr Keuner

    @muh: "der politische islam muss zurückgedrängt werden, egal um welchen preis."

    Der Preis wird sein: Demokratie, Menschenrechte und Freiheit. Die Freiheit der Andersdenkenden zu verteidigen ist Pflicht eines jeden Demokraten.

    Ich bin auch der Meinung, dass Religion nichts in der Politik zu suchen hat, aber leider denken viele anders.

    Die kann man schlecht im Namen der Demokratie wegbomben.

  • M
    muh

    die gute nachricht ist dass kein islamist mehr in ägypten regiert. das einzig wichtige ist dass die armee die nötige unnachgiebige entschlossenheit zeugt, die nötig sein wird um dafür zu sorgen dass das so bleibt. der politische islam muss zurückgedrängt werden, egal um welchen preis.

  • D
    D.J.

    Sagen wir es so: Es ist erstaunlich, dass ein Flächenland mit einer Bevölkerungsdichte von faktisch 1000-1500 Ew pro qkm (je nachdem wie die bewohnbare Fläche definiert wird) ohne nennenswerte Rohstoffe und mit prekärem durchschnittlichen Bildungsstand bisher überhaupt irgendwie regiert werden konnte. Für die Zukunft bin ich ebenfalls pessimistisch. Die zahlreichen Jungen sind - ich befürchte es - eine verlorene Generation, und das gefährliche ist, dass sie es wissen oder zumindest ahnen. Die Religion tut ihr Übriges.

    Ich hoffe aber, nicht Recht zu behalten.