Kommentar ARD-Themenwoche Toleranz: Mehr Matussek!
Der Hessische Rundfunk verteidigt Matthias Matussek als „homophob, aber nicht menschenverachtend“. Stimmt, der Publizist ist mustergültig tolerant.
D ie „Themenwoche Toleranz“ der ARD samt angeschlossener Anstalten sorgte bereits im Vorfeld mit ihrer Werbekampagne für reichlich Unmut. Eine Posterserie, die Ressentiments gegenüber gesellschaftlich marginalisierten Gruppen in Frageform referierte, wurde breit rezipiert, kritisiert und auch veralbert.
Einer der Höhepunkte der Themenwoche jedoch schlägt die Werbekampagne noch um Längen. In einer Diskussionsrunde des Hessischen Rundfunks (HR) bekam auch der bekennend homophobe Krawallkolumnist Matthias Matussek eine gebührenfinanzierte Plattform geboten.
Für diesen Gast fordert der HR in Person des Redaktionsleiters Meinhard Schmidt-Degenhard in einem offenen Chat nach der Sendung – welch Ironie! – Toleranz ein. „Herr Matussek [...] ist ein pointiert argumentierender, aber kein unreflektiert hetzender Zeitgenosse. Wir sollten doch so fair und tolerant miteinander umgehen, dass auch ein Matussek bei uns vorkommen kann.“
Nehmt das, ihr miesen Müslilesben mit Migrationshintergrund! Ihr müsst doch selber erst einmal tolerant sein! Später gelingt Schmidt-Degenhard sogar noch das Kunststück, dem gegenüber Matussek formulierten Vorwurf der Menschenverachtung zu begegnen: „Wenn Herr Matussek sich als homophob bezeichnet, so ist das seine persönliche Selbsteinschätzung – aber meines Wissens ist Homophobie nicht zwangsläufig menschenverachtend.“
Matussek ist überlegen
Jemand, der homosexuelle Partnerschaften defizitär nennt (keine Kinder!), kann das also tun, ohne die in solchen Partnerschaften lebenden Menschen zu demütigen. Ausgezeichnet. Das Andere ist zwar weniger richtig als das Eigene, wird aber nicht verachtet. Natürlich ist Matussek überlegen in seiner genormten heterosexuellen Welt, glaubt aber zum Beispiel „nicht, dass die [homosexuelle] Veranlagung Sünde wäre.“
Matussek hat nichts gegen Schwule und es braucht auch keine Absolution für das perverse Treiben, nur ein bisschen weniger Aufdringlichkeit. Matussek hat nichts gegen Schwule, nur öffentlich küssen sollten sie sich vielleicht nicht. Und anfassen, also anfassen sollen sie ihn auch nicht bitteschön. Das ist doch nicht zuviel verlangt. Und Matussek hat wirklich nichts gegen Schwule, diese defizitären, aber ansonsten gleichwertigen Menschen.
Genau so geht Toleranz: Sich selber als Maßstab setzen und abgrenzen von jenen, die diesem nicht genügen. Dabei bringt man aber immerhin so viel Zivilisation im Gepäck mit, dass man den Tierchen ihr Plaisierchen lässt und sie nicht gleich wegsperrt.
Matthias Matussek wird vielleicht selber drüber lachen müssen, aber einen hervorragenderen Repräsentanten der toleranten Gesellschaft als ihn wird man nicht so leicht finden. So gesehen ist es doch bedauerlich inkonsequent, dass ihm nur so wenig Platz bei der „Themenwoche Toleranz“ eingeräumt wird. Zum Glück besteht Hoffnung für künftige Gelegenheiten, schließlich wird unsere Gesellschaft immer toleranter. Jeden Tag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Koalitionsvertrag in Brandenburg steht
Denkbar knappste Mehrheit
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“