Kolumne die wahrheit: Arbeitsamt für bessere Nervensägen
Patricia hat sich im Alter von 63 Jahren frühpensionieren lassen. Zwar bekommt sie die Rente ihrer Gewerkschaft, für die sie gearbeitet hatte, aber ...
P atricia hat sich im Alter von 63 Jahren frühpensionieren lassen. Zwar bekommt sie die Rente ihrer Gewerkschaft, für die sie gearbeitet hatte, aber die zusätzliche irische Staatsrente erhält sie erst, wenn sie 66 ist. Deshalb muss sie sich bis dahin regelmäßig beim Dubliner Arbeitsamt melden. Das hat seine Tücken, wenn man noch nie arbeitslos war und die Regeln nicht kennt.
Patricia stellte sich an einer der Schlangen vor den Fensterluken an. Nach einer halben Stunde kam sie dran. In welchem Bereich sie denn gern arbeiten würde, fragte die Angestellte. "Ich könnte mir vorstellen, alte Menschen zum Tanztee ins Shelbourne Hotel zu begleiten", antwortete Patricia. Die Angestellte meinte verblüfft, ob sie das ernst meine? "Ich komme gut mit alten Leuten aus", sagte Patricia. Daraufhin verlor die Angestellte ihre Contenance: "Ich lasse mich von ihnen doch nicht verarschen", schrie sie und knallte die Luke zu.
"Ach du heilige Scheiße", seufzte die junge Frau in der Schlange hinter Patricia. "Du hast offenbar keine Ahnung, wie das hier abläuft. Am besten verabreden wir uns beim nächsten Mal vor dem Amt, dann gebe ich dir ein paar Tipps." So traf man sich eine Woche später. Mary, wie die junge Frau hieß, schärfte Patricia ein: "Kein Augenkontakt, wenn die Angestellten mit irgendwelchen Jobangeboten die Warteschlange abschreiten. Guck auf den Boden."
Kurz darauf kam ausgerechnet die Angestellte, die Patricia schon vom ersten Besuch kannte. "Hallo", rief Patricia, "wie gehts?" Mary traf fast der Schlag. "Ach du heilige Scheiße", murmelte sie, "sie wird dich in die Dubliner Berge schicken, wo du leere Kartoffelchipstüten aufsammeln musst. Und mich gleich mit, weil ich hinter dir stehe." Doch die Angestellte erkannte Patricia nicht, sondern fragte sie, ob sie sich für einen Computerkurs für Fortgeschrittene interessiere. Nicht die Bohne, antwortete Patricia. Außerdem habe der Kurs ja bereits vor drei Wochen angefangen, und da würde sie ja den Lernprozess behindern.
Mary nuschelte etwas von Kartoffelchipstüten in den Dubliner Bergen und verzog sich fluchtartig fünf Plätze nach hinten. Nun diente die Angestellte dem Mann hinter Patricia den Computerkurs an. Das war ein Fehler. "Ich war Computerprogrammierer", schrie der Mann, "die letzten beiden Firmen, bei denen ich arbeitete, haben Pleite gemacht. Und sie wollen mich zu einem Computerkurs schicken?"
Mary atmete auf, als die Angestellte entnervt von dannen zog, doch dann rief Patricia sie zurück. "Ach du heilige Scheiße", tönte es von hinten. Die Angestellte kam und fragte gereizt: "Was wollen Sie denn noch?" Wenn der Mann eine Computerkoryphäe sei, meinte Patricia, könnte man ihm doch einen Job im Arbeitsamt geben, um die Fortbildungskurse zu leiten. Der Angestellten fiel die Kinnlade herunter, denn nun hatte sie Patricia doch noch wiedererkannt. "Sie wollen mich schon wieder verarschen", kreischte sie aufgebracht. Mary hatte das Arbeitsamt längst durch den Hinterausgang verlassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen