Kolumne Zu Hause bei Fremden: Es wäre ungemütlich geworden

Unser Autor war von der Bertelsmann Stiftung zu einem Kamingespräch mit Wolfgang Schäuble eingeladen worden. Hier begründet er seine Absage.

Wegsehen, Wegdenken, Wegführen: Wolfgang Schäuble am Montag in Brüssel. Bild: ap

Sehr geehrter Herr Dr. Schäuble,

bitte entschuldigen Sie meine Abwesenheit heute abend in der Repräsentanz der Bertelsmann Stiftung, die mich zu einem „Kamingespräch“ mit Ihnen und Ihrer Finanzministerin für Portugal eingeladen hat.

Im letzten Moment habe ich mich entschieden, nicht nach Berlin zu kommen. Ich möchte, dass es eine ruhige „Armchair Discussion“ am Kamin wird, wie es auf der Einladung der Bertelsmann Stiftung steht. Dies wäre nicht gewährleistet, wenn ich auch käme.

Wissen Sie, wegen Ihrer Politik, die Ihre Finanzministerin genauestens befolgt, musste ich mit meiner Familie mein Land vor 18 Monaten verlassen. Jeden Tag sehne ich mich zurück nach Familie und Freunden. Außer mir mussten in den letzten vier Jahren 400.000 weitere Menschen Portugal verlassen, um der Verelendung und Armut zu entkommen.

Ihre Finanzministerin in Lissabon kündigte diese Woche an, 14 Milliarden Euro der Staatsschulden Portugals vorzeitig tilgen zu wollen. Das wird auch eines der großen Themen des Abends am Kamin sein. Sie und Ihre Finanzministerin für Portugal werden stolz sein. Dann haben Sie und Ihre Klassenbeste es den Griechen gezeigt, was regieren heißt. Regieren am Willen, an Wahlen und am Wohlergehen der Menschen vorbei, wenn Ihr Verständnis von Volkswirtschaft es so diktiert.

Auch wenn Anstand und Intellekt Ihnen von allen Seiten sagen, dass Ihre Wahrheit kurzsichtig ist: Was könnte ich Ihnen schon sagen, was Sie nicht schon wissen? Vom Leid meiner Landsleute erzählen? Von Trümmern und hilflosen alten Menschen? Dafür beherrschen Sie die Kunst des Wegsehens, Wegdenkens und Wegfühlens zu gut.

Jemand wird ein Cognacglas schwenken, jemand den Rauch einer guten Zigarre in den Raum blasen (ich war schon bei einigen Kamingesprächen dabei).

Es sind Illusionen Herr Dr. Schäuble. Sie wissen es. Illusionen, die jeden Tag in Krankenhäusern Menschenleben kosten, wegen denen jeden Tag viele Kinder in meinem Land viel zu wenig zu essen bekommen.Teils sind es Illusionen, teils statistische Manipulationen wie die sinkenden Arbeitslosenzahlen in Portugal und die steigenden Exportzahlen.

Mit diesen 14 Milliarden der „vorzeitigen Tilgung“ Ihrer Musterschülerin, die aus dem Land gepresst wurden (eine viel höhere Summe wurde in den letzten Jahren in marode portugiesische Banken gesteckt, damit diese ihre Kreditschulden an Deutschland weiter bedienen), könnte Portugal allen Menschen, die seit 2011 das Land verlassen mussten, sechs Jahre lang das gesetzliche Mindesteinkommen zahlen.

Ihre Finanzministerin, hat, Ihre Anweisungen befolgend, 400.000 Menschen für eine läppische Summe verkauft. Viele dieser Menschen sind jetzt hier und bereichern Deutschland. In Portugal sterben Menschen wegen Ihrer Politik. Es wäre kein gemütlicher Abend geworden, Herr Dr. Schäuble.

Mit freundlichen Grüßen

Miguel Szymanski

(Journalist / Autor)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.