Kolumne Wütbürger: Ein dröhnendes Schweigen

Wenn man nur genau genug hinhört, kann man jeden Menschen lieben lernen. Außer diese Typen mit gegeltem Haar und steifen Kragen.

Wie aus der Werbebroschüre einer Privatuni ... Bild: Imago / JuNiArt

Bei einem Vortrag über den Zauber von Geschichten habe ich von einem Fernsehmoderator gehört, der stets das Zitat eines Sozialarbeiters bei sich im Geldbeutel hatte: „Es gibt niemanden, den man nicht lernen kann zu lieben, sobald man seine Geschichte gehört hat.“ Das ist deshalb so ein kluger Satz, weil er einen ermuntert, genau hinzugucken und, mehr noch, genau hinzuhören.

Ich musste daran denken, als ich eine Szene beobachtete, die mich wirklich deprimierte. Ich stand an der Theke meiner Bar, als jemand den Raum betrat, den ich schon öfter in dieser Gegend gesehen hatte. Es lässt sich nicht genau sagen, ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handelte.

Es war mehr eine ätherische Gestalt, deren Augenhöhlen sich tief in den Schädel zurückgezogen hatten, mit Ohrringen, zerzaustem Haar und einer Obdachlosenzeitschrift in der Hand. Man konnte leicht durch sie hindurch sehen, wenn man keine Lust hatte, genau hinzugucken.

Computer werden immer kleiner und verschmelzen mit uns. Warum lassen wir sie nicht gleich in unsere Körper einbauen? Die Titelgeschichte „Bessere Menschen“ über Cyborgs und ganz gewöhnliche Menschmaschinen lesen Sie in der taz.am wochenende vom 14./15. Dezember 2013. Darin außerdem: Der Generationen verbindende Fernsehabend am Samstag ist tot. Das wird auch Markus Lanz nicht ändern. Warum das gut so ist. Und: Ein Gespräch mit dem Direktor des Zirkus Roncalli über Heimat, Glühbirnen und den Duft der Manege. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Mit einer Stimme, so sanft und leise, als stecke in jedem Satz die Entschuldigung dafür, ausgesprochen worden zu sein, fragte sie uns, ob wir eine Ausgabe kaufen wollten. Ich nahm ihr eine ab. Sie bedankte sich ausnehmend höflich, wünschte einen schönen Abend und ging zur nächsten Gruppe.

Glitzerarmbänder bis zu den Achselhöhlen

Sie sahen aus wie aus der Werbebroschüre einer Privatuni. Die Männer mit gegeltem Haar und Hemden mit steifen Kragen. Die Frau mit einem eng anliegenden, wollenen Oberteil und Glitzerarmbändern, die beinahe bis zu den Achselhöhlen reichten.

Es dauerte nur einen Augenblick, bis sie registrierten, worum es ging. Wortlos drehten sie sich weg und ließen die Gestalt stehen wie einen Barhocker. Sie hörten mit einer Kaltschnäuzigkeit weg, die einem noch in fünf Metern Entfernung in den Ohren dröhnte. Am nächsten Morgen habe ich deshalb das Zitat des Sozialarbeiters um einen Zusatz ergänzt: Und dann gibt es die Arschlöcher, deren Geschichten einem auch einfach egal sein können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Journalist, Buchautor, Moderator. Ärgert sich gern über Dinge, über die er sich gern lustig macht. Arbeitet außerdem als Dozent, weil man sich ja nicht immer nur ärgern kann, sondern auch den Jüngeren erklären muss, warum Journalismus immer noch der schönste Beruf von allen ist.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.