Kolumne Wirtschaftsweisen: Erst rausgentrifizieren – dann reintrauen
Gravuren auf Eheringen erinnern den Autor an Steinmetzarbeiten auf Grabsteinen.
Laut einer Statistik von Architektursoziologen der TU wurde Pankow seit der unseligen Wiedervereinigung weit stärker gentrifiziert (also bevölkerungsmäßig ausgetauscht) als Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain. Die Vorzeigemeile dafür ist die Florastraße, wo es nun ein Müttercafé, einen Bioladen, einen Schweizer Sklavenhändler für anspruchsvolle Jobs, ein „Zweites Leben“-Geschäft mit neu zusammengebauten alten Sachen, einen Tee-, einen Weinladen und einen mit selbst genähter Kleidung gibt. Dazu jede Menge Ärzte, Anwälte und Steuerberater. Demnächst bekommt die Florastraße neue Straßenlampen und Gehwegplatten, obwohl beides in Ordnung ist.
Kürzlich schlenderte ich dort entlang und sah aus den Augenwinkeln ein Transparent über einem Schaufenster: „Traurig-Ausstellung“. Drei Häuser weiter – vor einem Gummibärchen-Laden –, fragte ich mich: Ist das vielleicht so etwas wie die große „Melancholie“-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in klein? Als ich zurückging, las ich: „Trauring-Ausstellung“. Trotzdem betrat ich den Laden, ein Schmuckgeschäft. Ich war der einzige Besucher der Ausstellung. Sie bestand aus der Kollektion eines Schmuckherstellers und umfasste etwa 100 Ringe.
Die Ladenbesitzerin erläuterte mir, quasi als Kuratorin, die Exponate. Die meisten waren aus Gold, Titan oder Platin und mit Gravuren versehen: Schlieren, Schlangenlinien, Zickzackfurchen … Einige Ringe sahen aus wie Winterreifen für Matchbox-Autos. Nicht wenige hatten die Schmuckdesigner auch noch üppig mit Brillanten bestückt.
Schmuck geht immer
Geschickt brachte die Ladenbesitzerin das Gespräch aufs Heiraten: wann, wie, wo und so. Ich druckste herum und kam mir vor wie ein alter Sack, der ein junges Ding mit Edelmetall und -steinen an sich ketten will, aber aus Geiz Angst vor der eigenen Kühnheit hat. Aber „Schmuck geht immer“, wie meine Tante schenkunfähigen Liebhabern auf die Sprünge zu helfen pflegte. Andererseits mochte ich der Händlerin nicht sagen, dass ich bloß als neugieriger Journalist unterwegs war. Die Ringe kosteten alle mehr als 1.000 Euro. Als ich darob anerkennend durch meine Zahnlücke pfiff, legte die Ladenbesitzerin mit der Bemerkung: „Wir haben ja auch die Klassiker – die schlichten goldenen“, eine in schwarzen Samt gebettete Auswahl auf den Tresen.
Auch bei diesen Ringen gab es für Heiratende eine Qual der Wahl. Da ich jedoch, um jünger zu wirken, meine Brille eingesteckt hatte, konnte ich keine Unterschiede außer im Preis erkennen. Als ich dann den Laden verließ, fiel mir ein, wo ich das Gravurdesign der modischen Trauringe schon mal gesehen hatte: auf Berlins Friedhöfen. Auch die hiesigen Steinmetze lassen sich zur Verschönerung eines Grabsteins gerne Wellen- und Zickzacklinien einfallen.
Beim Hinausgehen nahm ich die ausgelegte Kopie eines FR-Artikels mit – eine Kulturgeschichte des Traurings, beginnend mit den alten Ägyptern. Der Text gipfelte in dem Satz: „Kein Wunder, dass neben den Hochzeitsvorbereitungen die Wahl des perfekten Traurings den meisten Paaren das größte Kopfzerbrechen bereitet. Was, wenn beide unterschiedliche Stilvorstellungen haben? Oder das Budget zu klein ist? Oder Allergien bestehen?“
Das mochte ich mir nicht ausmalen, ist aber vielleicht auch übertrieben. Ich jedenfalls will keine Frau heiraten, der ein „perfekter Trauring“ wichtig ist, eher schon eine Freundin, die sich bereits dreimal vermählt hat: erst mit Ringen aus Gras, dann mit solchen aus Isolierdraht, dann mit Bierdosenlaschen. Dabei geht der Trend zum echten Ring, wie ich im Laden erfuhr – auch und erst recht in der Florastraße.
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