Kolumne Wir retten die Welt: Die „Das-kommt-dabei-raus-Gesetze“
Die Bundesregierung übt sich in vorbildlicher Verpackungspolitik. Endlich heißen Gesetze auch so wie das, was drin ist.
M it spitzen Fingern nimmt unser Ältester das Glas mit der Nuss-Nugat-Creme in die Hand. „Guckt mal aufs Etikett“, sagt der ökobewegte Biostudent, „was da alles drin ist: Zucker! Fett! Und Palmöl!“ Alle essen weiter ihre Brote mit Schokoschmiere. Aber zumindest lesen wir das Kleingedruckte bei den Inhaltsstoffen.
Nebenher läuft Inforadio. Und da macht Familienministerin Franziska Giffey vorbildliche Verpackungspolitik: Das „Starke-Familien-Gesetz“, eigentlich „Gesetz zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe“. So was kapiert natürlich niemand. Deshalb gibt die Regierung ihren Projekten jetzt ab und zu Namen, die auf Anhieb einleuchten: „Gute-Kita-Gesetz“ oder „Einer-für-alle-Klage“.
Mich haben sie schon überzeugt. Schluss mit Etikettenschwindel und bürokratischen Unwortungetümen wie „Umweltrechtsbehelfsgesetz“. Ab heute heißt das „Hurra-jetzt-darf-der-Bürger-gegen-Ökoschweinereien-klagen-Gesetz“. Endlich erfahren wir, was da in unserem Namen beschlossen wird.
Die schnarchige Haushaltsplanung wandelt sich zum „Wir-haben-Geld-wie-Heu-investieren-es-aber-trotzdem-nicht-Gesetz“. Die neue Abschiebeverordnung kann der Innenminister endlich als „Ausländer-raus-Norm“ verkünden. Der Kompromiss zur Ferkelkastration heißt „Wir-reißen-euch-bei-vollem-Bewusstsein-die-Hoden-raus-Verordnung“, der Bundesverkehrswegeplan firmiert unter der „Wo-liegt-hier-noch-kein-Asphalt-Planung“.
Das „Ihr-könnt-mich-mal-Gesetz“
Ein Stab von Werbetextern und Sprachwissenschaftlern wird sich um knallige Titel kümmern, die den Kern der Botschaft transportieren. Der Alleingang von Agrarminister Christian Schmidt zur Genehmigung von Glyphosat Ende 2017 wird zum „Ihr-könnt-mich-mal-Gesetz“.
Die Vereinbarung zum Insektenschutz trägt den Titel „Hoffentlich-löst-sich-das-Problem-bald-von-selbst-Vorschrift“. Für das angepeilte Klimaschutzgesetz denken die Kreativen schon an die „Nach-uns-die-Sintflut-Regeln“. Der Kompromiss zur EU-Agrarreform soll nach internen Planungen „Der-Teufel-scheißt-immer-auf-den-größten-Haufen-Richtlinie“ heißen.
Eindeutig mein Favorit: Die nächste Einigung der Koalition zu Diesel-Fahrverboten: Die „Wir-tun-so-als-ob-wir-was-tun-Strategie“. Wenn alle Normen ihre Labels haben, sagt uns die Regierung noch, was uns jede an Geld, Gesundheit und Zukunftschancen kostet: Damit gibt es nicht nur ein Etikett, sondern auch ein Preisschild.
Unsere Familie ist wieder bei der Schokocreme. Die vegane Alternative – weniger Zucker, kein Palmöl –, die der Sohn mitgebracht hatte, flog raus. Manchmal zählen nicht die Etiketten, sondern die inneren Werte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch