Kolumne Wir retten die Welt: Der Kapitalismus siegt – hoffentlich
Das System bringt uns alle um, logisch. Das merkt man beim Klimagipfel. Aber was, wenn die Konzerne aus den falschen Gründen das Richtige tun?
S aturday Night Life in der Gesamtschule Bonn-Beuel. Es tagt der antikapitalistische „People’s Climate Summit“. In der Vorhalle stehen Äpfel und Spendenboxen, man trägt Hoodies mit dem Aufdruck „System Change not Climate Change“. Ein britischer Gewerkschafter sagt unter Applaus: „Um den Planeten zu retten, müssen wir das Energiesystem übernehmen.“
Deshalb ziehen am nächsten Tag auch von hier viele junge Menschen los, um die Braunkohleförderung vor der Haustür zu blockieren. Denn da baggert der Energiekonzern RWE ein großes Loch ins Weltklima. Der Kapitalismus bringt uns alle um.
Hm. Ich grabe im Tagebau meiner Erinnerung. Etwa 100 Städte und Kommunen halten Aktienanteile an RWE, bis 1998 kontrollierten sie den gesamten Konzern. Da hatten Gewerkschaften und Sozialdemokraten schon mal das Energiesystem übernommen. Von den einstmals vier großen deutschen Energiekonzernen gehörten drei ganz oder teilweise der öffentlichen Hand.
Kapitalismus hinterlässt Trümmer, Sozialismus auch
Dazu kommen 1.000 Stadtwerke. Hat uns das vor Klimakollaps und Massenentlassungen bewahrt? Der Sozialismus hinterließ nach meiner Erinnerung eher glühende als blühende Landschaften.
Auf der anderen Rheinseite das Kontrastprogramm: UN-Klimakonferenz. Hier streichen die Lobbyisten der transnationalen Konzerne gerade den Kapitalismus grün an. Sie suchen verzweifelt Rendite, zur Not auch in erneuerbaren Energien. Sie erfinden „Marktmechanismen“, gründen Versicherungen gegen Klimaschäden, wollen dem CO2 ein Preisschild geben und dafür bezahlen, dass der Regenwald stehen bleibt.
Viele, die sonst mit Hingabe den Planeten ruinieren, sind dabei. CIA und Pentagon warnen laut vor dem Klimawandel. Ölfirmen wie Shell und Total preisen das Pariser Abkommen. Aldi Süd und 50 andere deutsche Unternehmen fordern einen Kohleausstieg. Republikanische Falken und Öl-Milliardäre wollen einen CO2-Preis. Datenkraken wie Google und Apple, Landwirtschaftskiller wie Nestlé, Chemiebuden wie Dow Chemical und Straßenpanzer-Bauer wie Ford wollen weiter Klimaschutz machen. Sechs Billionen US-Dollar an Vermögen plädieren für mehr Grün. Und, Wahnsinn: Die größte Klimahoffnung der Welt ist Rex Tillerson. Der Exchef des Ölmultis ExxonMobil. Der einzige, der den Tanz ums grüne Kalb nicht mitmacht, ist Donald Trump. Bad deal. So sad.
Zu Weihnachten habe ich noch einen Wunsch frei. Es wäre doch schön, wenn nur dieses verdammte eine Mal wirklich der Kapitalismus die Welt regieren könnte.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
+++ Nachrichten zur Ukraine +++
Gespräche bei der Sicherheitskonferenz
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Nach der Sicherheitskonferenz
Expressverbindung von München nach Paris