Kolumne Wir retten die Welt: Game Over
Im digitalen Spiel „Dumb Ways to Die“ amüsieren wir uns über tödiche Dummheit. Schaue ich auf den Artenschutz, vergeht mir das Lachen.
D a vorn kommen die Elektrozäune. Ich tippe hektisch auf dem iPad herum, komme über den ersten und zweiten rüber, werde aber am dritten gegrillt. Ich sitze in der Skihütte und muss so schnell wie möglich die Fenster schließen, weil draußen … zu spät, die Lawine hat mich verschüttet. Und so geht´s weiter. Immer wenn ich zu langsam bin: Game Over.
„Gar nicht so schlecht“, sagt mein Sohn gönnerhaft, ehe er dran ist und den High Score auf das Sechsfache meines Ergebnisses hochschraubt. Aber ich habe eigentlich gar nichts dagegen, rauszufliegen. Dann kommt diese coole Musik: „Dumb Ways to die“ singen und swingen lauter niedliche bunte Männchen, die aussehen wie Würstchen und auf die denkbar dümmste Weise zu Tode kommen: „Set fire to your hair, poke a stick at a grizzly bear; eat medicine that´s out of date, use your private parts as piranha bait“. Und immer, wenn sich eine niedliche kleine Wurst die Haare anzündet, einen Grizzly reizt, abgelaufene Medizin schluckt oder seinen Schniedel ins Piranjabecken hält, ist die Botschaft klar: Leute, seid nicht bescheuert! Denkt nach, ehe ihr Euch in Gefahr begebt!
Das digitale Spiel „Dumb Ways to die“ ist ein Riesenhit. Gratis zu spielen, 200 Millionen Downloads. Entworfen von der Verkehrsgesellschaft in Melbourne mit dem einfachen Slogan: „Be safe around trains!“. Sicher effektiver als der erhobene Zeigefinger des Zugführers und vor allem viel lustiger. Wer will schon so blöd sein und auf diese Weise sein Leben riskieren: Superkleber schlucken; mit der Gabel im Toaster unter Strom rumstochern; eine Klapperschlange als Haustier halten; vor einem Zug über die Gleise rennen.
Ja, wer würde so etwas machen? Nun, wenn Sie eine Ärztin kennen, die in der Notaufnahme arbeitet, fragen Sie sie mal. Oder ihren Bekannten, der für die Unfallversicherung die Schadensfälle im Haushalt betreut. Oder sie blicken dieser Tage mal ins mexikanische Cancún. Da sitzen noch bis nächste Woche die UN-Staaten zusammen und beraten darüber, wie der Verlust an Artenvielfalt auf der Welt zu stoppen ist. Da erfahren Sie viel darüber, wie bescheuert man sein kann.
Wir sind der Meteorit. Jeden Tag.
Die Details sind wichtig: Wie kommt der Artenschutz aus der Öko-Ecke raus und wird auch in der Landwirtschaft, der Stadtplanung und dem Tourismus wichtig? Was tun mit der Gentechnik, die es erlaubt, extrem nervende Spezies wie Malariamücken auszurotten? Und soll man den Regenwald lieber als Kapitalanlage sehen, um ihn zu schützen? Im Kern aber geht es um die Frage: „Dumb Ways to die“ oder „smart ways to live“?
Mit jedem Hektar Regenwald, den wir für unseren Rinderwahnsinn umpflügen, vernichten wir ein ganzes Arsenal an Pflanzen und Tieren, die vielleicht einmal die Basis für die nächsten Medikamente werden. Mit jedem Feuchtgebiet, das wir trocken legen, erhöhen wir die Chance auf Überschwemmungen und Milliardenschäden beim nächsten Regen. Mit jeder kleinen Art von Tieren und Pflanzen, die endgültig verschwindet, schwächen wir das gesamte Netz des Lebens, das auch uns trägt.
Bedrohte Arten 2016
Bislang löschen wir durch unsere Landwirtschaft, durch Straßenbau, Chemie, Klimawandel und Wasservergeudung so viele Tiere und Pflanzen aus, als habe ein riesiger Meteorit auf der Erde eingeschlagen. Mit dem Unterschied, dass wir diesen Einschlag jeden Tag durch politische Planung, technischen Fortschritt und Milliardensubventionen wiederholen. Wir sägen nicht nur an dem Ast, auf dem wir sitzen, sondern wir entwurzeln gleich den ganzen Baum. Wir ruinieren nicht nur unseren Lebensraum, sondern auch noch den aller anderen Lebewesen um uns herum.
Das sind echte dumb ways to die. Im Vergleich dazu ist es fast schon rational, sich mal aus Spaß die Haare anzuzünden. Und wer weiß, dass „Game“ auch „Jagdwild“ bedeutet, versteht den Computerbildschirm plötzlich auch als Warnung vor einer geplünderten Natur: Game Over.
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