Kolumne Wir retten die Welt: Beim Airbnb-Beduinen
Was ist das für ein Leben in der Wüste? So rural schön die Landschaft in Jordanien sein kann, so gut ist leider auch die Internetverbindung.
D er Beduine holt uns mit seinem Landrover ab. Mit dem klapprigen Vehikel geht es im Schritttempo ins Gebirge östlich der Jordanebene. Auf dem kargen Berg dort oben soll Aarons Grab liegen, der ältere Bruder und ewiger Rivale von Moses, markiert von einer Kapelle. Weiter unten sieht man unseren Schlafplatz.
Er breitet Matten in U-Form aus, entzündet das Feuer in der Mitte und gart Huhn. Wir liegen und lauschen seinen Geschichten. Wie lange ist dieser Fleck, den er sein Eigen nennt, schon bewohnt? Seit 500 vor Christus, sagt er. Damals haben die Nabatäer nicht weit von hier die antike Stadt Petra gebaut.
Eine Ziegenherde zuckelt vorbei. Das Mädchen treibt die Tiere mit dem Zweig voran. Sein kleiner Bruder zieht am Seil ein Stück Plastikeimer hinter sich her, wie einen Hund. Vor 2.000 Jahren wäre es ein Holz gewesen. Jederzeit könnte der Dornbusch brennen.
Dann holt unser Wüstenführer den mobilen Router raus, steckt den Stecker in den Akku und produziert ein WLAN. Wir können ins Internet!
Er tippt auf seinem Smartphone rum und ruft seine Facebook-Seite auf. Der Mann ist eine eindrucksvolle Mischung aus Tradition und Moderne – ein Airbnb-Beduine. Auf dieser allseits bekannten Internetseite für Wohnungsvermittlungen bietet er seine Höhle zur Übernachtung an. Hinter uns ist der Eingang in den Fels gehauen. Sich bei ihm einzumieten, ist genauso einfach wie ein Zimmer in Kreuzberg zu buchen.
Aber will ich jetzt hier ins Internet? Wenn ich das mache, kann ich der Versuchung nicht widerstehen, meine Mails zu lesen. Dann ist der Urlaub zu Ende, weil ich erfahre, welche Texte die taz nächste Woche von mir haben will (und welche nicht, Anm. d. Red.).
Mit Google Maps zur Freilufttoilette
Sowieso fühle ich mich oft überfordert von all den Kommunikationskanälen. Hundert Mails pro Tag, ebenso viele Facebook- und Twittermeldungen, außerdem die SMS- und Whatsapp-Nachrichten. Handy und Telefon gibt es auch. Tausende Agenturmeldungen. Die alten Medien: Zeitunglesen, Radio, Fernsehen. Und das Sprechen nicht vergessen.
Also jetzt mal „digital Detox“, digitale Entgiftung, wenigstens für einen Abend. Mit unserem Beduinen ist das aber leichter gesagt als getan. Immer wieder zeigt er uns tolle Reisefotos in seinen Internetaccounts. Wer alles schon hier war! „Digital Detox“ wäre für ihn das Gegenteil: „financial toxication“. Der Tod seines Geschäftsmodells als weltbekannter Tourguide.
Die Frage lässt mich nicht los: Welches Mischungsverhältnis zwischen Tradition und Moderne ist angemessen? Verweigerung des Neuen kann es ja irgendwie auch nicht sein. Sonst wäre uns der Besuch beim Beduinen, dieser Moment des Rückblicks in alte Zeiten, komplett entgangen.
Man sollte beides beherrschen, die traditionellen Techniken nicht verlernen. In Jordanien haben wir festgestellt, wie nützlich Landkarten sind. Denn Google Maps hat von der Gegend dort und den Straßen Ammans wirklich gar keine Ahnung.
Vielleicht sollte man auch immer etwas Bargeld zu Hause haben für den Fall, dass der Strom ausfällt, die Bankautomaten keine Scheine mehr rausrücken und der Kartenleser im Supermarkt streikt. Wissen, wie man gemeinsam frühstückt, anstatt von der Hand in den Mund zu leben und nebenbei zu facebooken. Das analoge Leben am Laufen halten – mindestens als Notfallvariante.
Unser Airbnb-Beduine macht beides einfach so: Moderne und Altertum. „Wo ist die Toilette?“, frage ich, vor der Höhle liegend. Mit ausholendem Armschwung weist er in die Gegend. Ich begebe mich auf den Weg.
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