Kolumne Wir retten die Welt: Holt den Oldtimer raus aus der Stadt!
Mit dem H auf dem Nummerschild sparen Altauto-Halter jede Menge Steuern – und entern sogar Umweltzonen. Die Lösung? Einfach klauen!
D er ADAC jubelt, dass 63 Prozent der deutschen Männer „sich freuen, wenn sie Oldtimer auf der Straße sehen“. Ich bin ein emphatischer 37-Prozenter. Ob Oldtimer oder Youngertimer – Autos sind die Pest. Sie haben unsere Städte okkupiert, parken, lärmen, giften alles zu, gefährden Unumblechte und verhindern mit ihren grotesken Verstauungen den Radverkehr.
Zugegeben, keine sonderlich originelle Erkenntnis. Doch dann liest man: Wieder ein Oldtimer geklaut, am helllichten Tag, mitten in der Stadt, ein Ford Mustang. Reflexgedanke: Gut so, eine weniger von diesen extrastinkenden Kultkarren. Seit Mai ist in und um Aachen herum gut ein Dutzend Oldtimer gestohlen worden. Die Polizei vermutet, sie werden bandenmäßig Richtung Niederlande gelenkt. Wiedergefunden wurde keiner.
Der ferrarirote Mustang aus den 70er Jahren war „ein Familienmitglied“, jammert der Eigentümer via Lokalzeitung, das er „länger als seine Frau habe“. Der Wagen habe einen „frisierten Hochleistungs-Fünfliter-V8-Motor, Boss 302, 400 PS“. Der arme Mann habe sich, schrieb die Zeitung, „erheblich länger und intensiver mit seinem Auto beschäftigt, als es die meisten großen Schriftsteller mit ihren Büchern oder die meisten Maler mit ihren Gemälden getan haben.“ Ein „Lebenswerk“.
Geht’snoch? Ich schreibe einen Leserbrief, meinen ersten seit Neunzehnhundertnochwas. Tenor: Jeder geklaute Oldtimer verbessert die Luft unserer smoggeplagten Talkesselstadt. Jenseits kleinlicher strafrechtlicher Betrachtungen sei der Schwund der CO2-Monster uneingeschränkt zu begrüßen. „Deshalb Dank an die Diebe und: durchatmen!“ Es folgte ein schimpfender Gegenleserbrief. Ansonsten: Viele, die ich unter 63-Prozent-Verdacht geführt hätte, nahmen mich beiseite, noch Wochen später. Tenor: Super, toll, endlich sagt es jemand, dieser Autoschwachsinn!
Zu einem umweltpolitischen Skandal werden die Oldtimer durch die staatliche Alimentierung. Jedes Auto über 30 Jahre, das einigermaßen in Schuss ist, bekommt das Nummernschild mit dem H hinten. H steht für historisch und spart hunderte Euro Steuern per annum. Oldies gelten als „historisches Kulturgut“. Seit 1997 subventioniert Autovater Staat die Halter. An die 400.000 der gepamperten Stinker fahren mittlerweile umher, jährlich werden es gut 10 Prozent mehr.
Helft, liebe Holländer!
Im Februar bekommt Aachen die Umweltzone. Die Kaufleute fürchten weniger Kunden aus dem Land der mutmaßlichen Autodiebe. Grotesk: H-Autos dürfen in die Umweltzonen fahren, egal mit welchen Auspuffcocktails sie uns vergiften. Klauen die Holländer die Oldtimer, um ab Februar damit zum Shoppen wiederzukommen?
Nun ist es dem Weltklima ja egal, wo Autos ihre Gift ausstoßen. Bringt der Oldtimerklau also ökologisch nix? Von wegen: Die Polizei glaubt, dass die Diebe aus unserem aufgeklärten Nachbarland die Wagen zerlegen, weil die Einzelteile wertvoller sind als die ganze Kiste. Großartig! Also, liebe Holländer: Helft! Denn noch mehr als 1.000 Mustangs, 911er Porsches, Alfa Spiders und Mercedes-Karossen spotzen in Aachen und um Aachen herum. Am Ende bliebe ein einziger zusammengepuzzelter Rest-Oldtimer als Mahnmal übrig.
Nebenan in Köln hatte im Hungerwinter 1946/47 der legendäre Kardinal Joseph Frings den Nahrungsmittelklau abgesegnet: „Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der Einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat.“ Seitdem gibt es im Rheinland den Begriff „fringsen“. Autoentsorgung à la hollandaise wird man später mal umweltfringsen nennen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe