piwik no script img

Kolumne VollbartKein Problem mit Rassismus

Nur raus aus Berlin - und rein in eine Welt, wo sie die Wörter „Hipster“, „cool“ und „sexy" nicht kennen.

Da sind sie, die Hipster Bild: dpa

B erlin, ich mag dich, aber zum Jahresende muss ich dich verlassen, weil ich keine Lust auf Silvesterparty, Böller und unnötiges lange Wachbleiben habe.

Deswegen sind L. und ich nach Italien in die Berge gefahren. Ins Aoastatal, um dort eine Woche lang ein Eremitenleben zu führen. In einem Ort, wo sie die Wörter „Hipster“, „cool“ und „sexy nicht kennen und auch nicht vorgeben, etwas zu sein, was sie nicht sind. Wo die Menschen, nicht davon träumen, nach Berlin – „the place to be“ – zu ziehen und wo ein langer Bart unkommentiert bleibt, weil Äußerlichkeiten nichtig sind. Hier sind die Leute mit sich selbst beschäftigt. Das zeigt sich schon in den Nachrichten, die ständig ums eigene Land kreisen. Ich war in der Woche bestens über die havarierte Fähre „Norman Atlantic“ informiert, über jegliche Polemik der italienischen Politik und kannte jeden Tweet von Matteo Renzi, weil seine Tweets ständig im Fernsehen übertragen wurden.

Lauter Crime-Geschichten

Von internationalen Geschehnissen hatte ich hingegen nichts mitbekommen. Was in anderen Ländern passierte? Darüber wurde nicht berichtet. Stattdessen sind die Nachrichten neben dem Politischen aus Italien voller Crime-Geschichten, in denen entweder Frauen oder Kinder umgebracht werden, voller verletzter Italiener, die sich einen Böller in den Hintern geschossen haben, und darüber wie viele Polizisten in der Silvesternacht nicht zur Arbeit gegangen sind und sich krank gemeldet haben – über 80 Prozent.

So ganz konnten L. und ich jedoch unser Eremitendasein – mit Kaminfeuer, leider ohne Bärenfell –, nicht leben, weil wir ab und an in die Stadt fahren mussten. Da trifft man auf Menschen, die nicht mehr aufhören zu reden. „Wie ist es eigentlich in Deutschland mit den Nazis?“ ist eine der beliebtesten Einstiegsfragen. Was soll ich darauf antworten? Dank Pegida, AfD und allen anderen Spinnern fällt mir keine befriedigende Antwort ein. Die Nazis sind in Italien sowieso ein beliebtes Thema, weil es von den eigenen Problemen ablenkt. Denn Italien hat mit den Nazis ja nichts zu tun gehabt. Logisch, Mussolini, wer? Faschismus, was?

Und noch ein Thema schien von großer Bedeutung zu sein: Zwar kommentierte keiner meinen Bart, aber trotzdem fühlten sich die Leute berufen, mir etwas zu meinem Äußeren mitzuteilen. Standardsatz: „Du siehst aus wie ein Türke!“ – „Wie sieht denn so ein Türke aus, fragte ich dann immer zurück. „Na ja, so wie du eben. Das ist natürlich nur so eine Feststellung, man hat ja nichts gegen Türken (aber …).

Italien hat doch kein Problem mit Nazis oder Rassismus. Wenn die Menschen zum Beispiel „Flüchtlinge raus!“ schreien, ist das eine Meinungsäußerung ohne jeglichen politischen Hintergrund. Oder wenn die Kassiererin im Supermarkt zu einem Baby sagt, es solle aufhören zu weinen, weil es ihm doch hier in Italien viel besser gehe, als in dem Land, wo es herkomme, ist das nur ehrlich und nett gemeint. Das hat mit Rassismus doch nichts zu tun.

So ganz konnte ich mein misanthropisches Verhalten in Italien leider nicht ausleben, das gehört sich nicht – und ich bin schließlich gut erzogen. Aber nun, nach einer Woche, bin ich endlich wieder in Berlin. Und wie es sich hier schickt, habe ich in der U-Bahn auf dem Weg vom Flughafen nach Hause einen Fahrgast angeschrien. Er stand mir eben im Weg.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Enrico Ippolito
Redakteur bei taz2/medien
Jahrgang 1982, ist seit 2011 bei der taz. Seit November 2012 wirkt er als Redakteur bei tazzwei/medien. Zuvor hat er ein Volontariat bei der taz absolviert.