Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Berliner Blase
Es ist schön, manchmal Teil eines Rummels zu sein. Ihn gelegentlich zu verlassen erscheint aber auch wichtiger denn je.
Gerade fand in Berlin die Art Week statt. Ich lasse mich gern auf diesen Zirkus ein. Wegen der Kunst, aber auch wegen des Spektakels um KünstlerInnen, GaleristInnen, JournalistInnen, Hipster, Groupies und TouristInnen, die die Manege betreten, um irgendetwas darzustellen. Mitte der Nullerjahre war ich selbst Teil des Rummels. Während einer Hospitanz in einer damals sehr erfolgreichen Galerie mit eigenartigem Namen in Mitte durfte ich Kaffee kochen und Mittagsmenüs für die MitarbeiterInnen arrangieren. Nach zwei Wochen Catering schmiss ich hin, verärgert und stolz zugleich, denn alle Dienstmägde und -knechte vor mir hatten monatelang brav den Tisch gedeckt.
Jahre später arbeitete ich in einem Raum für zeitgenössische türkische Kunst, für die Kuratoren-Legende René Block. Sehr gern erinnere ich mich an die Ausstellungseröffnungen unter grellem Neonlicht, zu denen der Stifter der Galerie, ein türkischer Milliardär in Jogginghose und Sneakern, bisweilen mit dem Helikopter auf der Brache hinterm Haus landete und zu denen Köche 5-Gänge-Menüs mit farblosen Lebensmitteln servierten, wenn sich die Ausstellung mit „Strategien der Unsichtbarkeit“ befasste.
Abende, die ich mit wohlhabenden SammlerInnen und mächtigen MuseumsdirektorInnen verbrachte, darunter vielen Frauen mit orangefarbenen Lippen und Herren mit selbstbewussten Brillengestellen. Die Kunstblase war sonderbar, ihr AkteurInnen pflegten ähnliche Lebensstile und Werte und blieben unter sich. Nach ein paar Jahren verließ ich die Blase und begab mich in die nächste.
Im August war ich ein paar Tage lang in der „Sachsen-WG“, dem Dresdener Redaktionsbüro, aus dem taz-ReporterInnen vor den Landtagswahlen berichteten. Untergebracht war ich in einer WG, in der sich über mehrere Etagen ein Dutzend angehende IngenieurInnen, ÄrztInnen und DoktorandInnen aus Lüneburg, Münster, Nürnberg und Damaskus gemütlich eingerichtet hatten. In Dresden-Strehlen gab es neben einem ausgeklügelten Schlüsselsystem eine Küche, in der sich die BewohnerInnen morgens trafen, einen Gemüsegarten und eine Gemeinschaftskasse, aus der der wöchentliche Einkauf bestritten wurde.
Urbane Komfortzone
Es waren angenehme Tage, und es war eine Art Training in Sachen Realitätscheck. In meinem kleinen Zimmer mit Weltkarte über dem Bett wurde ich mir nur zwei Zugstunden von zu Hause entfernt meiner Berliner Wohlfühlblase gewiss. Dieser Blase, in der ich mich schon morgens durch Twitter & Co wische, mich durch Nachrichtenportale klicke, danach aufs Hollandrad schwinge, um vorbei an Parlamentsbüros, Ministerien und Fernsehstudios in die Redaktion zu rollen, wo ich die Nachrichtenlagen bestimmter Weltregionen im Blick behalte. Eine urbane Komfortzone, in der ich nach Feierabend ins Kino gehe, Ausstellungen oder Konzerte besuche und mit Freunden und Nachbarn bei einem guten Glas Wein über das ausgelesene Buch, den Klimawandel oder Kindererziehung spreche.
Eine Echokammer, in der ich morgens nicht wie in Dresden-Strehlen Bad und Espressokanne mit anderen teile, in der keine syrischen Mitbewohner leben, die schwarzen Tee aus kleinen Gläsern trinken und mit leuchtenden Augen vom Projekt Europa schwärmen, durch das wir so selbstverständlich reisen, während sie nie die Möglichkeit hatten, sich derart spielerisch zwischen ihren arabischen Nachbarländern zu bewegen.
Ebenso selten treffe ich in meinem Berliner Kiez RentnerInnen, Handwerker und Bauunternehmer, denen August der Starke, jener sächsische Kurfürst aus dem 17. Jahrhundert, näher scheint als der eigene Nachbar. Die um ihre Rente und die günstige Miete bangen, die erzählen, dass sie das Vertrauen in die Politik und Medien verloren hatten. Die, getrieben von einer diffusen Angst vor Globalisierung, Wasserknappheit und Migration, das Gefühl nicht loswerden, nicht mehr ihre Meinung sagen zu dürfen.
Wir alle bewegen uns in Blasen, die ihre Gründe haben, auf Erfahrungen beruhen und einer gewissen Logik folgen. Sie gelegentlich zu verlassen erscheint mir heute wichtiger denn je.
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