piwik no script img

Kolumne Stimmen für Aslı ErdoğanSchaut her, hierher!

Kolumne
von Murat Uyurkulak

Ein Blick in die Geschichte zeigt: Es ist einfach, seine Menschlichkeit abzulegen, aber es ist es ebenso schwer, sie aufzugeben.

Man kann Krieg führen. Oder man kann tanzen Foto: Imago / Imagebroker

O ft wurde davon gesprochen, es wurden Filme darüber gedreht, Bücher geschrieben. Sie erzählen die Geschichten von Soldaten, den Soldaten der Schlacht von Gallipoli, die in den Feuerpausen, im Schützengraben liegend, die Ohren gespitzt, den Liedern ihrer Gegenüber auf der anderen Seite lauschten. Die einander Schokolade, Zigaretten und andere Dinge zuwarfen. Die übereinander fluchten und miteinander scherzten, und wenn der Morgen anbrach, am Abzug bereit, jenen Mann töteten, dessen Lied sie voller Wehmut noch vergangene Nacht gehört hatten. Es ist ein Sinnbild, die berühmte Metapher der zwei Kugeln, die sich in der Luft trafen und miteinander verschmolzen – für einen grausamen Krieg und dessen Bedeutungslosigkeit.

Wieder der Erste Weltkrieg: Deutsche und französische Soldaten klettern an Heiligabend aus ihren Schützengräbern, um gemeinsam zu feiern. Sie spielen Fußball. Es heißt, die Deutschen hätten 5:4 das Spiel gewonnen, es heißt auch, dass sich die Soldaten so gut verstanden, dass einige von ihnen nicht wollten, dass ihre Gegner sterben. So täuschten sie ihre Aufklärungstruppen und gaben falsche ­Meldungen weiter, damit den anderen genug Zeit zum Fliehen und vielleicht zum Überleben blieb.

Dies sind einige der wenigen ermutigenden Beispiele dafür, dass nicht nur Krieg, sondern auch Frieden in der Natur des Menschen liegt. Jene, die Verwundete auf ihrem Rücken tragen, die die religiösen Bräuche eines Toten lernen und sich bemühen, diesen den Regeln nach zu bestatten, die einen Liebesbrief in der Tasche „ihres Feindes“ finden und sich abmühen, diesen um jeden Preis dem Empfänger zuzustellen.

Es gibt viele Beispiele von modernen Kriegen, in denen versklavte Soldaten, gegen jedes internationale Abkommen verstoßend, zu Tausenden ermordet wurden. Allerdings sind auch Geschichten wie eben beschrieben möglich, die den Krieg innerhalb nur eines einzigen Moments der Bedeutungslosigkeit preisgeben können. Denn egal wie einfach es ist, seine Menschlichkeit abzulegen, ist es doch ebenso schwer, sie aufzugeben. Ein Mensch trägt den Mörder und den Heiligen zu gleichen Teilen in sich, manchmal beschützt er seinen Feind, und manchmal tötet er einen geliebten Menschen.

Die einzige Form des Krieges, die nicht in die Zuständigkeit von internationalem Recht fällt, heißt Bürgerkrieg. In ihm stehen sich Nachbarn, Geschwister, ein ganzes Volk, die erfundene und unheilvolle Gesellschaft namens Nation, einander im Kampf gegenüber. Dabei gehen ihnen die Motive zu streiten nicht aus. Egal ob jemand zu viel oder zu wenig spricht, gut oder schlecht gelaunt ist. Manchmal kommt es so weit, dass so ziemlich alles ein Grund dafür sein kann, sich an die Gurgel zu gehen.

Die Serie Stimmen für Aslı

Der Schriftstellerin und Journalistin Aslı Erdoğan droht in der Türkei lebenslange Haft wegen ihrer Arbeit für die prokurdische Zeitung "Özgür Gündem". An dieser Stelle führen wöchentlich Freundinnen und Kollegen ihre Kolumne fort.

Und manchmal kommt der Moment, da erhältst du die seltene Gelegenheit, die Bekanntschaft mit Schmerzen zu schließen, die du dir nicht im Leben hättest vorstellen können. Dieser Moment ist die Schwelle zu einer Brüderlichkeit, der Anfang eines heiligen Friedens.

In diesem kannst du die Geheimnisse ergründen von Kindern, deren Alter zur Volljährigkeit erhoben wurde, um sie zu hängen; von Generationen, deren Wille in Folterkammern gebrochen wurde; von Menschen, die in Kellergeschossen bei lebendigem Leib verbrannt wurden.

Wir sind es, die weinen

Du wirst das Bewusstsein, das Selbstvertrauen und die Dreistigkeit verstehen, mit der blutrünstige Traditionen wie das Erschießen unbewaffneter Menschen praktiziert werden. Und während sie mittellose Rekruten auspeitschen und in ihre jungen Gesichter treten, könntest du für einen Moment innehalten und dich daran erinnern, dass zu Zeiten auch du anstelle des Rekruten stehst.

Jeder von uns hat Schmerzhaftes zu berichten. Wir sollten zumindest eine Idee davon haben, wer die Verantwortung für diese Qualen trägt. Wir sollten, und wenn auch nur ein kleines bisschen, ein Gefühl für die dreckigen Geschäfte bekommen, die über unsere Köpfe hinweg abgewickelt werden, die uns hin und her schleudern und dafür sorgen, dass wir nach dem Leben des anderen trachten.

Jene über uns interessieren sich nicht für uns. Ihnen sind unsere Leben und unsere Werte nicht wichtiger als das Geld in ihren Kassen oder ihre Aktien. Sie werden schon ihren Weg finden, und sie würden dafür jede Art von Streich spielen. Um keinen Preis wollen sie, dass wir wissen, dass es weder die Monster noch die Sünder gibt, deren Existenz sie uns weismachen wollen. Denn sie sind es, die zum Tode verurteilen. Wir sind es, die weinen.

Murat Uyurkulak

Murat Uyurkulak ist Schrift­steller, Übersetzer und Auslandsredakteur von BirGün

Es geht darum, nicht nur gegen einen, sondern gegen jeglichen Putsch zu sein. Es geht darum, zu erkennen, dass auf dem sinkenden Schiff, auf dem wir uns alle befinden, nur wenigen das Rettungsboot zugänglich ist. Es geht darum, zu begreifen, dass jene, die Auftragsmörder auf uns ansetzen, uns weder Leben noch Freude gönnen.

Schaut her, hierher! Hier lebt ein gewaltiges Volk, das würdevoll, mit Gebet, Tanz und Liebe, mit seinen Kindern, gleichberechtigt, erhobenen Hauptes und geschwisterlich zusammenleben will. Egal, was ihr noch mit euren Auftragskillern, durchgeknallten Putschisten oder mörderischen Faschisten vorhabt, wir werden gewinnen, der Frieden wird siegen!

Aus dem Türkischen von Canset Icpinar

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 8G
    80336 (Profil gelöscht)

    So ist es. Danke!