Kolumne Russia Today: Russland ist im Paradies angekommen
Nur der Ferienmythos Sotschi konnte der Ort sein, an dem das russische Team diese WM beendet. Die Realität vor Ort ist wenig glamourös.
S amstage und Sonntage sind Sotschi-Tage. Das hat sich irgendwie so ergeben bei dieser Weltmeisterschaft. Seitdem ich am Anfang beim Spiel der Deutschen gegen Schweden war, fliege ich hier pünktlich zum Wochenende immer übers Schwarze Meer die spektakuläre Einflugschneise zum küstennahen Flughafen ein.
Ich bin zum Sotschi-Beauftragten dieser WM geworden. Und darum würde mich bestimmt halb Russland beneiden – also gar nicht so wenige Leute. Denn für viele in diesem Land ist Sotschi eine Verheißung, so etwas wie das irdische Paradies. Allein schon einmal hierherzukommen wird als großes Glück erachtet.
Und wer sich rechtschaffen verhält aus Sicht der russischen Machthaber, hat viel bessere Chancen in den Garten Eden Russlands zu gelangen. Eine putingetreue Aktivistin hat mir erzählt, dass in ihrer Jugendorganisation diejenigen, die sich besonders auszeichnen, eine Sotschi-Reise geschenkt bekämen.
Die Mehrheit aber dürfte sich selbst damit beschenken. So voll wie es in Sotschi ist, kann das kaum anders sein. Doch mittlerweile frage ich mich immer mehr, was denn eigentlich das Besondere an Sotschi ist. Gut, es gibt nicht viele Orte in Russland, wo man zum Schwitzen nicht in die Sauna gehen muss und das Meer zum Baden einlädt.
Ansonsten aber ist wenig in diesem Paradies zu finden, was liebreizend oder gar betörend genannt werden könnte. Die Bauten sind entweder neureich protzig oder ökonomisch massentauglich. An einem Wochenende war ich zwei Nächte in einem Ferienresort. Eine Anlage mit einer Rezeption, wo man sich in eine lange Schlange einreihen musste zum Check-in wie am Flughafen. Ich hatte Haus Nr. 7 mit Aufgang Nr. 4 und Zimmernummer 417 bekommen. Ohne die Zahlen wäre ich auf diesem Gelände der Gleichmacherei verloren gewesen.
Empfohlener externer Inhalt
WM 2018 – Die Spielorte
Den Russen hier ist das eh einerlei. Sie brauchen auch nicht diesen feinen Sand, von dem die Urlaubsparadiesmagazine schwärmen. Sie machen es sich gern an diesem ewig langen Kieselstrand von Sotschi bequem. Und wählerisch sind sie ebenso wenig. Die Grillbuden, wo sie ihre Mägen auffüllen, sind kaum voneinander zu unterscheiden. Aber satt wird man schließlich überall.
Der Mythos von Sotschi dagegen braucht nicht groß genährt werden. Dieser Mythos ist ein Überlebenskünstler, nichts kann ihm etwas anhaben. Er lebt von Meeresluft und Meerwasser allein. Sotschi ist das Paradies. Schluss! Aus! Fertig! Wer nicht hierher will, ist selbst schuld. Und klar ist, dass nur Sotschi der Ort sein konnte, an dem das russische Team diese Weltmeisterschaft beendet. Russland ist im Paradies angekommen. Die WM ist nun auch für Sotschi beendet. Ich weiß gar nicht, was ich nächsten Samstag und Sonntag machen soll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!