Kolumne „Rollt bei mir“: Stufenlos ist nicht gleich stufenlos

Zählt eine Stufe schon als keine Stufe? Wenn man im Rollstuhl auf Wohnungssuche ist, muss man nehmen, was man kriegt.

Schild, das in zwei Richtungen weist. Auf der linken Seite ist eine Treppe, auf der rechten eine Rampe.

Nach links geht es zum Südwestbalkon Foto: dpa

Heute möchte ich mit Ihnen über die Worte „stufenlos“ und „Zugang“ sprechen. Auch bekannt als zusammenhängender Ausdruck: „stufenloser Zugang“, den man tunlichst nicht bei den Immobilienportalen im Internet angeben sollte, wenn man in halbwegs absehbarer Zeit eine Wohnung finden möchte.

Ich bin auf einen „stufenlosen Zugang“ angewiesen. Der Vorteil am stufenlosen Zugang ist nämlich, dass man als Rollstuhlfahrer* in die Wohnung gelangt. Das kleine Häkchen bei den Suchkriterien sorgt aber leider für eine sehr übersichtliche Trefferliste. Wunschgegend, Stuck, Badewanne, Südwestbalkon – alles Features, die mit Stufenlosigkeit nicht vereinbar scheinen, also muss man nehmen, was man kriegt.

Die Definition des Ausdrucks ist auch nicht so einfach, wie man meinen könnte. Gerade die von mir lieb gewonnenen Damen und Herren Immobilienmakler haben sich scheinbar noch nicht festgelegt. Ein, zwei Stüfchen dürften es ja wohl doch sein.

Dank dieser Uneinigkeit kommt man als hoffnungsvoller Interessent in aller Herrgottsfrühe zum Besichtigungstermin und statt eines Immobilienmaklers (mal wieder zu spät) begrüßt einen die Stufe vor dem Eingang. Sie schreit einem schon entgegen: „Tja, wird wohl nichts!“

Eine Stufe ist keine Stufe

So geschehen an einem Montagmorgen. Ich musste arbeiten, um meinen Teil der Wohnung bezahlen zu können, also war nur mein Freund vor Ort:

Freund: „Gibt es noch einen anderen Eingang? In der Anzeige stand ‚stufenloser Zugang‘.“

Immobilienmensch: „Nein, es gibt nur den einen.“

Freund: „Aber vor der Eingangstür ist ja eine Stufe.“

Immobilienmensch: „Ja, aber ist ja nur eine.“

Freund: „Aber auch eine Stufe ist blöd, wenn man im Rollstuhl sitzt.“

Immobilienmensch: „Kennen Sie denn jemanden, der im Rollstuhl sitzt?“

Freund: „Ja, meine Freundin.“

Immobilienmensch: „Oh, dann ist das ja wirklich blöd.“

So ist das mit den Stufen. Menschen, die von ihnen nicht am Fortkommen gehindert werden, registrieren sie nicht. Das ist in Ordnung. Klar, man hätte vor dem Termin explizit nachfragen können, denkt sich jetzt vielleicht die eine oder der andere.

Aber: Von Immobilienmaklern erwarte ich ein gewisses Maß an Umsichtigkeit – gerade wenn sie mit dem Attribut „stufenlos“ werben. Außerdem bringen Fragen leider nichts, wenn die Immobilienmenschen nicht wissen, wie der Eingang zur Wohnung aussieht.

Stattdessen wird man schon mal vor einer eventuellen Besichtigung zu einem persönlichen Casting ins Büro eingeladen – zum Filzen der Unterlagen. Die Stilberatung gibt es kostenlos dazu: „Die Frisur auf dem Bild im Perso steht Ihnen besser als die aktuelle.“ Danke für den Tipp, aber viel interessanter wäre es, etwas über den Eingang der Wohnung zu erfahren. Doch: „Ich kann Ihnen dazu nichts sagen, ich war noch nie vor Ort.“

Nach einem halben Jahr fanden wir eine Wohnung. Ohne Stuck, ohne Arbeitszimmer, ohne Balkon, aber: ohne Stufe. Man muss halt nehmen, was man kriegt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Judyta Smykowski, geboren 1989 in Hamburg, Studium des Onlinejournalismus und Kulturjournalismus in Darmstadt und Berlin, arbeitet als Texterin und Referentin beim Berliner Sozialhelden e.V. und als freie Redakteurin bei der taz. In ihrer Kolumne schreibt sie über das Leben mit Rollstuhl und den Umgang der Gesellschaft mit behinderten Menschen.  

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.