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Kolumne „Rollt bei mir“Stufenlos ist nicht gleich stufenlos

Kolumne
von Judyta Smykowski

Zählt eine Stufe schon als keine Stufe? Wenn man im Rollstuhl auf Wohnungssuche ist, muss man nehmen, was man kriegt.

Nach links geht es zum Südwestbalkon Foto: dpa

H eute möchte ich mit Ihnen über die Worte „stufenlos“ und „Zugang“ sprechen. Auch bekannt als zusammenhängender Ausdruck: „stufenloser Zugang“, den man tunlichst nicht bei den Immobilienportalen im Internet angeben sollte, wenn man in halbwegs absehbarer Zeit eine Wohnung finden möchte.

Ich bin auf einen „stufenlosen Zugang“ angewiesen. Der Vorteil am stufenlosen Zugang ist nämlich, dass man als Rollstuhlfahrer* in die Wohnung gelangt. Das kleine Häkchen bei den Suchkriterien sorgt aber leider für eine sehr übersichtliche Trefferliste. Wunschgegend, Stuck, Badewanne, Südwestbalkon – alles Features, die mit Stufenlosigkeit nicht vereinbar scheinen, also muss man nehmen, was man kriegt.

Die Definition des Ausdrucks ist auch nicht so einfach, wie man meinen könnte. Gerade die von mir lieb gewonnenen Damen und Herren Immobilienmakler haben sich scheinbar noch nicht festgelegt. Ein, zwei Stüfchen dürften es ja wohl doch sein.

Dank dieser Uneinigkeit kommt man als hoffnungsvoller Interessent in aller Herrgottsfrühe zum Besichtigungstermin und statt eines Immobilienmaklers (mal wieder zu spät) begrüßt einen die Stufe vor dem Eingang. Sie schreit einem schon entgegen: „Tja, wird wohl nichts!“

Eine Stufe ist keine Stufe

So geschehen an einem Montagmorgen. Ich musste arbeiten, um meinen Teil der Wohnung bezahlen zu können, also war nur mein Freund vor Ort:

Freund: „Gibt es noch einen anderen Eingang? In der Anzeige stand ‚stufenloser Zugang‘.“

Immobilienmensch: „Nein, es gibt nur den einen.“

Freund: „Aber vor der Eingangstür ist ja eine Stufe.“

Immobilienmensch: „Ja, aber ist ja nur eine.“

Freund: „Aber auch eine Stufe ist blöd, wenn man im Rollstuhl sitzt.“

Immobilienmensch: „Kennen Sie denn jemanden, der im Rollstuhl sitzt?“

Freund: „Ja, meine Freundin.“

Immobilienmensch: „Oh, dann ist das ja wirklich blöd.“

So ist das mit den Stufen. Menschen, die von ihnen nicht am Fortkommen gehindert werden, registrieren sie nicht. Das ist in Ordnung. Klar, man hätte vor dem Termin explizit nachfragen können, denkt sich jetzt vielleicht die eine oder der andere.

Aber: Von Immobilienmaklern erwarte ich ein gewisses Maß an Umsichtigkeit – gerade wenn sie mit dem Attribut „stufenlos“ werben. Außerdem bringen Fragen leider nichts, wenn die Immobilienmenschen nicht wissen, wie der Eingang zur Wohnung aussieht.

Stattdessen wird man schon mal vor einer eventuellen Besichtigung zu einem persönlichen Casting ins Büro eingeladen – zum Filzen der Unterlagen. Die Stilberatung gibt es kostenlos dazu: „Die Frisur auf dem Bild im Perso steht Ihnen besser als die aktuelle.“ Danke für den Tipp, aber viel interessanter wäre es, etwas über den Eingang der Wohnung zu erfahren. Doch: „Ich kann Ihnen dazu nichts sagen, ich war noch nie vor Ort.“

Nach einem halben Jahr fanden wir eine Wohnung. Ohne Stuck, ohne Arbeitszimmer, ohne Balkon, aber: ohne Stufe. Man muss halt nehmen, was man kriegt.

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Judyta Smykowski, geboren 1989 in Hamburg, Studium des Onlinejournalismus und Kulturjournalismus in Darmstadt und Berlin, arbeitet als Texterin und Referentin beim Berliner Sozialhelden e.V. und als freie Redakteurin bei der taz. In ihrer Kolumne schreibt sie über das Leben mit Rollstuhl und den Umgang der Gesellschaft mit behinderten Menschen.  
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6 Kommentare

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  • "Profis", die "stufenlos" oder "barrierefrei" schreiben, sich aber nicht darum kümmern, ob dies auch zutrifft, sind nicht unbedingt egoistisch, sondern machen nicht ihren Job - ob aus Faulheit, Unfähigkeit oder mangelnder Ausbildung, lässt sich von aussen nicht sagen.

    Vorauszusetzen, dass alle neu gebauten Privatwohnungen ohne Stufen auskommen, wäre anmassend - dass Immobilienmakler ihren Job tun allerdings nicht.

    • @Velofisch:

      Warum wäre das anmassend?

       

      Ich kenne bisher keinen Menschen, der sich "Pflegeheim" als Wohnform (im Alter) wünscht; und zwar auch dann, wenn sie oder er noch fit ist, aber "einfach nur" die eigene Wohnung sonst nicht mehr verlassen, oder auch sein eigenes Badezimmer nicht mehr nutzen könnte, weil sie/er einen Rollstuhl/Rollator nutzt.

       

      Ich fordere jedeN auf, die/der postuliert, durchgehende Barrierefreiheit sei bei Neubauten nicht drin/zu teuer/anmassend, durchzuspielen, ob sie/er morgen gerne ins Heim ginge - egal wie alt sie/er ist!!!

       

      Denn eine erworbene Geheinschränkung hält sich nicht an Altersgrenzen... .

      • @Lesebrille:

        Es ist nicht anmassend, für sich passende Bedingungen zu fordern um möglichst autonom zu sein oder zu bleiben. Es ist anmassend, dass andere, die andere Bedürfnisse haben, in ihren eigenen Häusern die Bedürfnisse von fremden Leuten erfüllen sollen.

        Es ist durchaus vorausschauend auch für gehende Leute ein Haus so zu bauen, dass auch nicht (mehr gut) gehende Menschen darin beweglich bleiben. Wer aber gerne in einem Baumhaus wohnen mag, eine Maisonettewohnung liebt oder andere Wünsche oder Bedürfnisse hat, die sich mit Barrierefreiheit nicht vertragen, dem sollten wir aber wirklich nicht vorschreiben, dass er so etwas nicht mehr bauen darf. Dies zu fordern empfinde ich als anmassend.

        • @Velofisch:

          Wenn die Menschen "in ihren eigenen Häusern" gerne von den "fremden Leuten" Miete wollen, dann halte die Forderung der Einhaltung bestehender Gesetze zum barrierefreien Bauen, keineswegs für anmassend!

           

          Übrigens bekommen einzelne HäuslebauerInnen, wie auch Bauunternehmen gutes Geld vom Staat, damit sie barrierefrei bauen.

           

          Wer also bestehende Gesetze meint missachten und gleichzeitig widerrechtlich Steuergelder abgreifen zu dürfen und damit behinderte wie nichtbehinderte SteurzahlerInnen - behinderte Menschen als potentielle MieterInnen dabei doppelt - zu schädigen, der sollte auch dann auch bitte besagte Gelder komplett mit Zinsen zurückzahlen.

           

          Es wäre spannend, zu schauen, wie schnell wir tatsächlich barrierefreie Wohnungen hätten, würde rigoros das Geld zurückverlangt werden.

           

          Denn, sehr geehrteR Frau/Her Velofisch, bisher warten behinderte Menschen nicht selten auf das Ableben anderer behinder Menschen, damit deren Wohnungen frei werden. Finden Sie das nicht schlimmer?

  • Behindert ist man nicht. Behindert wird man. Und zwar von Leuten, die sich nicht in andere hineinversetzen wollen. Das gilt übrigens nicht nur für Rollstuhlfahrer.

     

    Ich wünschte wirklich, Egoismus würde die Leute genau so sehr am Fortkommen hindern, wie zum Beispiel eine Querschnittslähmung oder eine Erblindung. Er tut es leider nicht. Für mich ist das ein Symptom. Diese Gesellschaft ist längst nicht so gesund, wie sie sich gerne einbildet.

  • Das kann ich nur bestätigen!

     

    Ich bewohne eine sog. barrierefreie Wohnung...: der Eingang zum Haus ist schräg und kostet Kraft, die Eingangstür schwergängig, ein Fenster in der Wohnung ist gar nicht erreichbar (das in der Küche), das im Bad mit Müh und Not. Zur Terrasse gibt es eine 15 cm hohe Stufe, für die eine Rampe ins Wohnzimmer gelegt wurde (kann das Einrichten sehr "spannend" gestalten), die ich nur an guten Tagen schaffe.

     

    Wer wenig Geld hat und auf eine Wohnung angewiesen ist, muss das schlucken, ob er will oder nicht. Damit wird der Begriff der Barrierefreiheit ad absurdum geführt und die Vermieter wissen das!

     

    Aber es ist ja nicht nur die Wohnungssuche, die damit erschwert wird. "Jaaa, unsere Praxis ist absolut barrierefrei. Nein, keine Stufen. Nur am Eingang, aber da helfen wir Ihnen gern rein...!"

     

    Wer das für Genörgel hält, den bitte ich um eine einfache Aufgabe: gehen Sie durch Ihre Lieblingseinkaufsstrasse und zählen sie die Stufen an den Eingängen zu Läden, Praxen, Apotheken, Restaurants... und überlegen Sie dann, wieviele Häuser sie mit Rollstuhl anfahren könnten.