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Kolumne PressschlagFrauen nach 35 Jahren im Stadion

Es wird Fußball gespielt und Frauen schauen zu. Was normal sein sollte, ist im Iran eine echte Sensation. Doch zum Jubeln ist es noch zu früh.

6. Oktober 2018: Frauen beim Fußball-Länderspiel Iran gegen Bolivien in Teheran Foto: dpa

Schon klar, das waren tolle Bilder, die am Wochenende von Teheran aus um die Welt geschickt worden sind. Frauen waren darauf zu sehen mit Schals des iranischen Hauptstadtklubs Persepolis. Sie waren im Azadi-Stadion von Teheran, um sich das Finalrückspiel um die Champions League des Asiatischen Fußballverbands gegen den japanischen Klub Kashima Antlers anzuschauen. Die Bilder sollten eine frohe Botschaft transportieren – trotz des torlosen Unentschiedens, das nach dem 0:2 im Hinspiel die Finalniederlage für Persepolis bedeutete.

Endlich waren Frauen bei einer Männerpflichtpartie in Iran zugelassen. Das hatte es seit mehr als 35 Jahren in der Islamischen Republik nicht mehr gegeben. Bemerkenswert ist es also durchaus, dass mehrere Hundert Frauen ins Stadion durften. Doch zum Jubeln ist es noch zu früh. Der große Befreiungsschlag für weibliche Fußballfans in Iran ist nicht in Sicht.

Das Spiel genoss auch deshalb weltweite Aufmerksamkeit, weil die iranischen Aktivistinnen von Open Stadiums in der Woche vor der Partie der Fifa einen Brief mit 200.000 Unterschriften überreicht hatten, in der der Fußballweltverband daran erinnert wurde, dass der Frauenbann gegen seine eigenen Antidiskriminierungsregeln verstößt. Der iranische Fußballverband müsse demnach eigentlich von der Fifa suspendiert werden. Für die Aktivistinnen sind die Bilder vom Samstag zwar auch ein Erfolg. Sie werden aber nicht müde, via Twitter klarzustellen, dass der Zutritt von Frauen zu Männerspielen in Iran normalerweise immer noch nicht möglich ist.

Am Samstag waren es hauptsächlich Angehörige und Verwandte aus dem Klubumfeld sowie Spielerinnen der Frauenteams, denen der Zugang zum Champions-League-Finale erlaubt worden war. Sie hatten sich in einem für Frauen reservierten Bereich des Stadions aufzuhalten. Mit einer gekauften Eintrittskarte das Spiel zu besuchen war indes keiner Frau gestattet.

Fifa-Präsident Gianni Infantino platzte nach dem Spiel, bei dem er selbst anwesend war, beinahe vor Stolz. In einem Statement, das der Verband verbreitet hat, wird er im schönsten Fifa-Jubel-Sprech zitiert: „Heute ist ein historischer und feierlicher Tag, ein wahrer Durchbruch“, heißt es in der Stellungnahme.

Infantino dankt dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani, dass er das möglich gemacht habe, was Infantinos bei seinen Besuchen im Land ausgehandelt habe. „Das ist die Kraft des Fußballs.“ Dieser Satz darf natürlich nicht fehlen. Auch wenn Infantino sagt, dass dies erst ein erster Schritt war auf dem Weg zu wahrer Fangleichberechtigung, ist der Jubelton seines Schreibens völlig unangebracht.

Aktivistinnen bleiben skeptisch

In diesen Tagen wird in Deutschland der Ausrufung der Republik vor 100 Jahren gedacht. Dass vor 100 Jahren Frauen das Wahlrecht zugestanden wurde, ist dabei ein Grund, warum die Revolution bis heute ein Anlass zum Feiern ist. Hierzulande ist es kaum mehr vorstellbar, dass Frauen bis vor 100 Jahren an keiner Wahl teilnehmen durften, dass es bis dahin genug politische Akteure gab, die das als richtig bezeichneten. Genauso unvorstellbar ist es heute in Deutschland, dass man Frauen den Zutritt zu öffentlichen Veranstaltungen verwehrt, nur weil sie Frauen sind.

Genau das passiert an jedem Spieltag in Iran. Infantino selbst war Zeuge, als vor dem Teheraner Stadtderby zwischen Esteghlal und Persepolis im März 35 Frauen festgenommen wurden, weil sie bei dem Versuch erwischt worden waren, mit angeklebten Bärten als Männer verkleidet das Stadion zu betreten. Die Aktivistinnen von Open Stadiums bleiben jedenfalls skeptisch. Auf Twitter haben sie nach dem Spiel gepostet: „Das große Fußballfest ist Vergangenheit. Unsere Frage ist nun: Werden sie Frauen zu den nächsten Spielen zulassen oder nicht? Welche Ausreden werden sie sich einfallen lassen? Wir sind gespannt.“

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