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Kolumne PressschlagErstklassiger Scheißfußball

Peter Unfried
Kolumne
von Peter Unfried

Die Furcht, künftig eine Liga tiefer antreten zu müssen, lässt die Clubs schlechter kicken. Warum sollten wir uns das anschauen?

Darmstadt gegen Wolfsburg Foto: dpa

M itten in der gruseligen ersten Halbzeit des Abstiegsduells Wolfsburg gegen Darmstadt übergab sich der Redakteur des führenden Fachblattes auf der Pressetribüne. Ich sah die Schlagzeile „Fußball zum Kotzen“ kommen, denn mir war auch schon übel. Aber so schlimm war es dann gar nicht, weil der VfL in der zweiten Hälfte anfing, Fußball zu spielen. Und damit (oder dadurch?) sogar gewann.

Danach wurde aber gesagt, was zur Standardrhetorik abstiegsbedrohter Clubs gehört. Dass alles egal sei, Hauptsache, man hole die Punkte und bleibe in der Bundesliga.

Wir reden hier nicht nur von der engsten Abstiegszone, es handelt sich um eine fast schon flächendeckende Bewegung. „Fußball spielen“, so wie wir das als kulturelle DNA noch in uns tragen und fühlen, man schaut, dass man an den Ball kommt und dann kombiniert man los, das ist vorbei. Real, aber vor allem als Wert.

Im Fernsehen fällt das weniger auf, weil immer ein Trainer zu entlassen ist oder weil jemand was gesagt hat, was angeblich wahnsinnig kontrovers oder lustig ist. Aber im Stadion war Ingolstadt eben noch eine Chiffre für cleveren Fußball ohne Fußball, und nun ist fast schon überall Ingolstadt. Sie brauchen noch jemand, der so blöd ist, zumindest manchmal Classic-Fußball spielen zu wollen, damit sie ihre Qualitäten einbringen können. Ist aber kaum noch jemand, mit Ausnahme der außer Konkurrenz agierenden Bayern.

Ich will jetzt nicht auf dem alten Menotti insistieren und seine Theorie vom „rechten Fußball“, der nur zerstören wolle. Dem Trainer, Spieler, Clubangestellten, Wurstverkäufer, Sponsor ist es wirklich schnurz, wie man gewinnt: Abstieg ist für ökonomisch und sozial direkt Betroffene existenziell, sodass sie auf keinen Fall spielerisch damit umgehen können.

Was ich aber herausfordern will, ist dieses grassierende Denken, dass es „nur um die Punkte“ geht. Warum tun Leute sich das an, die Fußball sehen wollen? Die Zuschauer seien ihm völlig egal, sagte Hamburgs Torwart René Adler. Hauptsache, ein Punkt. Wie gesagt, aus seiner Sicht einleuchtend. Aber was soll denn ich mit diesem Punkt anfangen? Worum geht es denn beim Fußball, wenn nicht um Fußball? Warum soll man Scheißfußball schauen, damit man im nächsten Jahr wieder Scheißfußball schauen muss? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn und schon gar keinen Spaß.

Die Antwort ist offensichtlich: Es geht nicht um Fußball. Es geht um Teilhabe an „Erstklassigkeit“. Für den Klub, die Stadt, den Fernsehfan und auch den Stadionzuschauer. Wenn sich diese Teilhabe in Scheißfußball materialisiert, sei’s drum. Hauptsache, erstklassiger Scheißfußball. Diese Abstiegs­angst entspricht der einer Gesellschaft, die nicht in der Lage ist zu fragen, worum es eigentlich geht, weil sie komplett darauf fixiert ist, den Status zu erhalten, der sie kirre und starr macht.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "Die Zuschauer seien ihm völlig egal, sagte Hamburgs Torwart René Adler. Hauptsache, ein Punkt."

     

    Auf die Quellenangabe bin ich mal gespannt, es läßt sich nämlich nichts dergleichen über Rene Adler finden. Nicht zum 0:0 vom Wochenende (wohlgemerkt in der Fremde, wo Unmut des zu 90% zum Gegner haltenden Publikums über das Ergebnis für die Auswärtsmannschaft in der Rubrik "Auszeichnung" zu verbuchen wäre), noch zu irgendeinem anderen Spiel in der Vergangenheit. Davon ab bleibt wohl mehr als ungewiss, wie genau ein Torwart Einfluss auf die Spielkultur nehmen könnte. Dass Torhüter sich prinzipiell über ein 0-0 weitaus mehr freuen können, als über ein 3-3, liegt wohl an ihrem Job. Jedenfalls nicht, wie es mal wieder unterschwellig suggeriert wird, an ihrer Vereinszugehörigkeit.

     

    Also, in welcher Situation das Wer-auch-immer gesagt haben mag, es war wohl definitv kein Kommentar von Rene Adler, und definitv keiner zum Spiel in Frankfurt vom vergangenen Samstag abend. Tatsächlich gab Adler Interviews, in denen er seinen Ärger über den nichtgegebenen Elfmeter für den HSV formulierte ("wurden hier klar benachteiligt"). Eine Sichtweise auf die Szene zwischen dem Hamburger Kostic und dem Frankfurter Abraham nach etwa einer Stunde, welche auch von der neutralen Berichterstattung nicht anders bewertet wurde.

     

    Man kann nun anfügen, dass das keine neue Situation für den HSV ist, schliesslich haben die Rothosen diese Saison erst zwei Elfmeter zugesprochen bekommen, wo es eigentlich schon sechs oder sieben hätte geben müssen. Andererseits kann man auch einwenden, dass der erneute klare Fehlentscheid nicht zwingend eine Ergebniskorrektur zur Folge gehabt hätte, denn auch aus den beiden vorangegangenen Strafstößen wurde schliesslich kein Tor erzielt.

     

    Auf der anderen Seite sagte Rene Adler auch, dass die Punkteteilung insgesamt dem Spielverlauf entspräche und baute ansonsten auf das Allgemeinplätzchen, wonach sich im Fußball ja alles irgendwann auch wieder ausgleiche.

    • @cursed with a brain:

      Im übrigen gilt an der Weser seit Jahrzehnten die Devise "Werder gewinnt - EGAL WIE!" Die obige Kolumne hätte man da weitaus eher nach dem Auftritt der Bremer in der Wolfsburger VW-Arena erwarten dürfen.

       

      An der Weser scheint man dabei aktuell über den "Scheißfußball" in die Spur zurück gefunden zu haben. Doch während der HSV in den nächsten Wochen noch gegen drei Mannschaften aus der oberen Hälfte spielt (Köln, Dortmund, Hoffenheim) und dann im direkten Vergleich mit sechs Teams aus der unteren Hälfte die Klasse sichern kann, trifft Werder mit Hamburg und Ingolstadt nur noch auf zwei direkte Konkurrenten aus dem Tabellenkeller, dagegen auf sieben, die noch Ambitionen auf das internationale Geschäft haben.

       

      In der Hinrunde stand der HSV nach acht Spieltagen mit 2 Punkten auf dem letzten Platz. In der Rückrunde steht er nach acht Partien mit 14 Punkten auf Rang 5 (trotz des 0:8 in München; die taz berichtete hier in aller Ausführlichkeit, während den Siegen gegen Leipzig, Berlin und Gladbach keine einzige Zeile gewidmet wurde).

       

      In der aktuellen Tabelle kann noch jeder Verein ab Platz 6 in Abstiegsgefahr geraten, der Rückstand von Schlusslicht Darmstadt auf den Relegationsplatz 16 ist größer als der von dort auf Platz 6, welcher zur Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb berechtigt. In Italien beträgt dieser Abstand zwischen internationalem und Abstiegsrang 40 Punkte, in Spanien 28, in England 26, in Frankreich 22, in den Niederlanden 18 und in Deutschland 10 Punkte. Man könnte nun auf den Gedanken kommen, dass die Bundesliga über die gesamte Saison gesehen besonders ausgeglichen ist, es lediglich den Bayern derzeit an echter Konkurrenz mangelt. Oder man unterstellt wie Kolumnist Unfried drei Viertel der Vereine einer der stärksten Ligen Europas einfach "Scheißfußball". Auch wenn das vermutlich gar nicht die Absicht war.

       

      Es geht wohl nur darum, Lieblings-Werder gesundzubeten, indem die "böse" Konkurrenz aus Wolfsburg und Hamburg schlecht geredet wird.