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Kolumne PressschlagDie Leute wollen – ja, was eigentlich?

Kolumne
von Markus Völker

AfD-Vize Alexander Gauland soll behauptet haben, „die Leute“ möchten nicht neben Fußballer Jérôme Boateng wohnen. Wer sollen die genau sein?

Der Dscherohm ist beliebt bei Alt und Jung, weswegen das alles doch sehr verwundert Foto: dpa

O b Alexander Gauland ein Fußballfan ist, das ist nicht überliefert. Vom Habitus her sollte er wohl eher ein Band aus der Schiller’schen Werkausgabe zur Hand nehmen als die Fernbedienung, um sich ein Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft anzusehen. Trotzdem ist das Thema Fußball nun das große Ding, nicht nur beim AfD-Politiker aus Brandenburg. Die Europameisterschaft in Frankreich steht an. Und plötzlich rückt ein Spieler in den Mittelpunkt, der darüber ziemlich verdutzt sein dürfte.

Jérôme Boateng ist ein prima Profi mit untadeligen Manieren, einer der weltbesten Abwehrspieler. Boateng, der seine Millionen beim FC Bayern verdient, designt Brillen und gilt als freundlicher Zeitgenosse, der zwar ein bisschen tapsig wirkt und drollig spricht, aber keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Der Dscherohm ist beliebt bei Alt und Jung, weswegen es doch sehr verwundert, warum Gauland nun in einem neuerlichen Anfall von Verständniswahn gesagt hat: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Die Leute?

Ein Journalist der FAZ hat herausgefunden, dass die Nachbarn von Boateng im sehr schönen und sehr teuren Münchner Viertel Grünwald die Nähe zum Nationalspieler total okay finden. Sie halten ihn für nicht abgehoben und geradezu mustergültig integriert in das süddeutsche Gemeinwesen. Wiederholt werden Anwohner mit dem Satz zitiert: „Er ist ganz normal.“ Man fühlt sich offenbar wohl in der Nähe von Boateng, ja nicht mal laute Partys feiere der Typ, und die Getränke im Markt um die Ecke holt er manchmal selbst.

Gut, die Menschen in Grünwald sind reich, nicht wenige residieren in Villen. Hier wohnt, wer es geschafft hat und zu den 5 Prozent der Wohlhabenden gehört, die viel mehr haben als die anderen 95 Prozent in der Republik. Wenn Gauland von den „Leuten“ spricht, dann sind die Gutbetuchten offensichtlich nicht gemeint. Auch der Mittelstand hätte bestimmt nichts gegen Boateng in der Nachbarschaft, wäre das doch der Beweis, in einer tollen Gegend zu wohnen und noch dazu in der Nähe einer Berühmtheit.

Wer sind die Leute, denen Gauland, wie er behauptet, aus dem Herzen spricht? Sind es jene zwei Pegida-Freunde, die, wie nun alle Welt nach einem Sturm der Entrüstung weiß, in Baden-Württemberg sitzen und das Kindergesicht von Boateng auf einer Tafel Kinderschokolade nicht gut finden? Sind es „Leute“ in Dresden oder Wuppertal, in Mettmann oder Erfurt? Wer will nicht neben diesem Musterprofi leben?

Das fragt man sich, und weiß keine Antwort, weil die Pegida-Anhänger doch Freunde des Nationalen sind und somit auch der Nationalmannschaft sein müssten. Viele von ihnen hängen, sobald die EM läuft, bestimmt wieder die Deutschlandfahnen raus und schmücken ihren Nissan mit einem Seitenspiegelüberzieher in den deutschen Farben. Dass in dieser Nationalmannschaft ein Spieler mit dunkler Hautfarbe spielt oder einer mit türkischen Großeltern, sollte sie nicht stören. Oder etwa doch?

Gaulands Einlassung ist in erster Linie reaktionär. Sie verweist auf eine Diskussion, die längst erledigt schien. Es ist Jahre her, dass Herkunftsfragen einer fußballerischen „Internationalmannschaft“ diskutiert wurden. Spätestens mit dem Ende der Fußball-WM 2010 in Südafrika war das Thema durch. Eigentlich. Selbst das stumme „Mitsingen“ der Nationalhymne von Boateng und Co. war irgendwann kein Aufreger mehr. Es wurde akzeptiert: Jeder ist frei darin, das zu tun oder zu lassen.

Dass Alexander Gauland nun eine diskursive Leiche aus dem Keller holt und zur Sektion ansetzt, ist Zeichen einer recht plumpen Instrumentalisierung des Fußballs. Damit steht der AfD-Politiker allerdings nicht allein da.

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Redakteur
Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
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9 Kommentare

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  • Echt ja? Gauland von der AfD labert Müll?

    Gibts doch nicht!

  • Der Artikel sieht es richtig: Herr Boateng ist Multimillionär - übrigens u. a. dank der Zwangsgebühren des öffentlichen Fernsehens; und Herr Boateng weiß sehr genau, warum er in Grünwald bei München und nicht in der Nachbarschaft seiner Fans wohnt. Herr Gauland hat daher ein falsches Beispiel gewählt. Ansonsten trifft seine soziologische Feststellung zu: Die Leute wollen nicht neben einem Asylbewerberheim wohnen. Allüberall machen die Kommunen diese Erfahrung. Mit seiner Feststellung hat Herr Gauland aber ein Tabu gebrochen. So etwas sagt man eben nicht. Der Shitstorm, der daraufhin über ihn hinwegbrauste, erinnert mich an das alte Wort Goethes, das der große Dichter dem Mephisto in den Mund legt: »Ja, was man so erkennen heißt!

    Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?

    Die wenigen, die was davon erkannt,

    die töricht gnug ihr volles Herz nicht wahrten,

    dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten

    hat man von je gekreuzigt und verbrannt.«

  • Was ist los? Ein alter Promi-Rassist sagt irgendeinen Schwachsinn, Frau Petry entschuldigt sich dafür, Herr Meuthen findet den Schwachsinn okay. Das ist in "Volksparteien" immer so. Die SPD ist ja auch gleichzeitig für und gegen TTIP. Und dann sagt der alte Rassist, er sei falsch zitiert worden (also "Lügenpresse", wie üblich). Ganz generell bitte ich die Parallele zum Front National zu beachten. Vor ein paar Jahren hat sich Le Pen Senior medienwirksam über die vielen "Afrikaner" in der Französischen Nationalmannschaft aufgeregt. Der Alte ist inzwischen aus dem FN rausgeschmissen worden, ohne dass sich am Rassismus des Ladens unter der Führung seiner Tochter irgendwas geändert hätte. Das (der Rausschmiss) könnte Gauland auch irgendwann blühen, wenn Petry glaubt, dass es der AfD nützt. Und das wird es...

  • 2G
    27741 (Profil gelöscht)

    Ich möchte nicht neben Herrn Boateng wohnen. Ich möchte aber auch nicht neben Herrn Bierhoff wohnen. Oder sonst einem aus der mafiösen Fußballwelt. Die nehmen die Gesellschaft nicht nur aus sondern wollen auch, dass nach ihren Vorstellungen gehandelt wird. Siehe Weltmeisterschaften ect.

  • Ich halte es für bemerkenswert, dass sich Frau Petry, laut Radionachrichten in Bayern3, für die Äußerung ihres Parteifreundes entschuldigt haben soll, während Herr Meuthen, Frau Petry's Stellvertreter in der AfD-Führung und gleichzeitig AfD-Vorsitzender sowie Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, Herrn Gauland in Schutz genommen und verteidigt haben soll.

     

    Herr Meuthen soll im baden-württembergischen Wahlkampf zum neuen Landtag den bürgerlichen Konservativen gegeben haben, der sich gerne von extremen Äußerungen von anderen AfD-Politiker*innen distanziert hat.

  • Ich wäre ganz gerne Nachbar von Herrn Boateng, fürchte aber, dass ich mir die Wohngegend nicht im Entferntesten leisten kann. Immerhin, und das ist dann doch wichtiger, muss ich, soweit ich sehe, Nazis wie Herrn Gauland nicht in meiner Nachbarschaft ertragen. Das wär dann doch zu schlimm...

  • Am Sport machen sich zwei verschiedene rassistische Diskurse fest:

     

    1. "Die Weißen sind überlegen, deswegen können farbige Menschen nicht gewinnen."

    Scheitert zu offensichtlich an der Realität. Beispiel: Hitlers entgeisterter Blick bei der Olympiade in Berlin 1936, als Jesse Owens seine germanischen Vollblütler in Grund und Boden rannte und sprang.

     

    2. "Den Schwarzen liegt das im Blut. Die laufen, tanzen und springen so schön".

    Ist biologistisch - der Umgang mit dem Körper und Körperlichkeit ist kulturell erworben und erlernt. Ist zugleich eine Art "positiver Rassismus".

     

    Warum Gauland sowas kurz vor der EM raushaut, weiß man nicht genau. Hauptsache, es wird über einen berichtet?

    • @scaspener:

      Freilich hat er nichts von beiden gesagt, sondern eine Aussage über den realexistierenden Alltagsrassismus getroffen.

       

      Über Hitler und Jesse Owens wissen wir gar nichts. Das halte ich alles für eine amerikanische Zeitungsente. denn der Ausnahemsportler Owens war ja auch in Deutschland total populär. Das absurde war ja, dass Owens sich öffentlich, auch nach dem Krieg, immer gegen die Behauptung gewehrt hat, und die fehlende Gratulation seines eigenen Präsidenten hervor hob.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Die AfD-Politiker und Pegidafreunde sind innerlich so prall vollgefüllt mit Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass, daß einfach immer mal wieder (versehentlich) sowas rausrutscht, wie auch Frau von Storch (versehentlich) auf ihrer Computermaus ausgerutscht ist.

    Aber man war mal wieder in der Zeitung und irgendwer rückt es dann schon wieder zurecht.