Kolumne Nullen und Einsen: Du hast da was am Auge
Seit 15 Jahren sind Datenbrillen das nächste große Ding. Jetzt sind sie mal wieder aufgetaucht – nur nicht dort, wo wir sie erwartet haben.
A uf Facebook hat jemand einen kurzen Ausschnitt aus „Markus Lanz“ geteilt, und da sitzt eine Frau mit einer bescheuert designten weißen Brille und beleidigt ein Buch. Ich brauche ein wenig, um zu verstehen, dass es sich nur um den Ausschnitt aus einer Mockumentary über die fiktive Einführung von Datenbrillen in Deutschland handelt. Und ich Trottel bin wirklich drauf reingefallen und dachte, solche Brillen tragen die Leute jetzt in Kreisen, wo man solche Brillen trägt.
Da sind sie wieder, die Datenbrillen. Also, okay, „da“ sind sie seit gefühlt 15 Jahren, im Sinne von „noch nicht hier“. Wäre das Weblog Riesenmaschine noch aktiv, hätte es den Brillen schon längst eine Folge ihrer Reihe der „Godot Trends“ gewidmet.
Dabei sind die Vorteile der Datenbrille ja offensichtlich: Direktes Mitfilmen von allem, was man sieht. Mails lesen und dabei zwei Katzen gleichzeitig streicheln. Straßennamen, Busabfahrtszeiten, Essenspreise, sprich: weitergehende Informationen zu den Dingen um einen herum direkt eingeblendet bekommen. Schöne neue Welt.
Bloß in echt hat das fast noch niemand gesehen. Die Datenbrille ist ein Produkt, mit dem nicht mal Google Erfolg hatte, das ja bekanntermaßen mit allem Erfolg hat (außer mit sozialen Netzwerken). Woran das liegen mag? „Eine Datenbrille ist ein kleiner Computer, der aussieht wie eine Sportbrille“, weiß datenbrille.in und benennt damit das Problem. Selbst Vollnerds wollen selten aussehen wie Vollnerds, und nicht einmal eine mehrseitige Fotostrecke in der Vogue konnte dafür sorgen, dass Sportbrillen hip werden. Passenderweise wurde die Google Glass von David Pogue bereits 2013 mit der Awkardness eines Segway verglichen: die Nummernschlosskofferträger-Version des großen „Die Zukunft ist endlich Gegenwart“-Traums.
Trotzdem sind die Datenbrillen wieder da – konkret am Fließband von VW. Da kommen sie seit November zum Einsatz, die Brillen färben für die Arbeiter die Teile ein, damit sie schneller sehen, was sie greifen sollen.
Und eben im deutschen Fernsehen. “Operation Naked“ heißt die eingangs erwähnte Mockumentary, die am nächsten Montag im ZDF zu sehen ist und im Internet auch schon jetzt. Sie dreht sich um die in Deutschland entwickelte „Real-O-Rama“-Brille, inklusive German Angst, Hacktivisten, viel Mediensatire und einer ausführlichen Verhandlung von Post-Privacy-Ideen – mehr dazu in der taz dann am 22. Februar.
Nicht mit den Datenbrillen verwechseln darf man übrigens die Virtual-Reality-Brillen, auch so ein Godot-Trend. Datenbrillen sind die, wo man durchschauen und die echte Welt mit mehr Infos sehen kann, Anwendungsgebiete sind der Alltag und draußen. VR-Brillen zeigen unechte Welten und man sieht damit so aus wie ein Zeitreisender in einem 60er-Science-Fiction-Film. Gedacht sind sie für den Freizeit- und Heimbereich.
Hier steht im März 2016 endlich die Markteinführung des Oculus Rift an, das schon seit Jahren als Vorzeigeprodukt der Branche gilt. Auch Google hat im Januar eine Produktentwicklung angekündigt. Immerhin: die Pornoindustrie beschäftigt sich bereits mit den Möglichkeiten von VR-Brillen und die soll immerhin schon VHS und Internet-Streaming groß gemacht haben. Vielleicht kommt Godot ja doch bald mal.
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In einer früheren Fassung der Kolumne stand im vierten Absatz „und auf die Idee, mal die Leute von der Vogue und der Vanity Fair ordentlich zu schmieren, damit Sportbrillen hip werden, ist im Silicon Valley noch niemand gekommen“. Danke an Adrian für den Hinweis, dass es offenbar doch versucht wurde.
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