Kolumne Nullen und Einsen: Nazi-Horror-Porno
Dieses Internet, das ist keine ungebändigte Bestie und keine Naturgewalt. Trotzdem soll es Schuld haben – an allem.
D as Internet kann einem ziemlich leidtun dieser Tage. An so ziemlich allem soll es schuld sein:
Zumindest mitschuld an der Zeitungskrise.
Daran, dass Menschen sich online mehr beschimpfen als analog.
ist Redakteurin im Ressort tazzwei.
Daran, dass Google so reich ist und so mächtig und machen kann, was es will. Und Facebook. Und Apple.
Dass die Leute lieber bei Amazon und eBay oder Zalando einkaufen und darum der Einzelhandel von Karstadt bis Dussmann den Bach runtergeht.
Daran, dass die Jugendlichen abwechselnd verdummen und verrohen.
Die Erwachsenen aber auch.
Daran, dass wir auch abends und im Urlaub und überhaupt immer online für den Job erreichbar sein müssen.
Dass wir die Kontrolle über unsere Daten verloren haben.
An der Piratenpartei.
Daran, dass die verdummten Internetuser nur unterkomplexe Artikel mit Nazi-Horror-Porno-Überschriften klicken und nicht das, was wirklich wichtig ist.
Dass man neuerdings alles in 140 Zeichen sagen muss.
Habe ich die Piratenpartei schon erwähnt?
Dass wir immer mehr Rückenschmerzen und Sehnenscheidenentzündungen haben.
Daran, dass schon Zweijährige iPads bedienen können.
Auf denen sie ein paar Jahre später viel zu viele Pornos gucken.
An der Krise der Musikindustrie.
An der Krise der Pornoindustrie.
An der Krise der Kinos.
An der Krise der Buchbranche.
Generell an der digitalen Kostenlos-Mentalität junger Menschen.
Dieses Internet, das ist keine ungebärdige Bestie, keine Naturgewalt. Es ist ein Medium, ein weltumspannendes Netzwerk, in dem Datenpakete hin- und hertransportiert werden. Erdacht, bedient und gestaltet von Menschen.
Viele Effekte, die wir dem Internet zuschreiben, werden von lauter Ichs und Dus gemacht. Mal Hand aufs Herz: Noch nie bei Amazon eingekauft? Doch? Aber trotzdem über die Bredouille des Buchhandels meckern?! Noch nie einen Porno im Netz geschaut? Noch nie jemanden wüst geschimpft? Noch immer das E-Mail-Konto bei Gmail?
Liebe Zeitungsverleger: Neben dem Werbe- und dem Paid-Content-Modell auch mal neuen Geschäftsmodellen eine Chance gegeben? Und liebe Onlineleser: Auch mal drüber nachgedacht, für anständigen Journalismus im Netz zu zahlen, ohne dazu gezwungen worden zu sein?
In vielen Bereichen können wir ganz gut mitbestimmen, wie das Internet aussehen soll – als Gesamtmenge aller Dus und Ichs. Heißt: Nicht das Internet ist schlimm. Sondern wie sich die Mehrheit dort verhält. Wer das ändern will, der sollte zuallererst mal anfangen, sich selbst auf die Finger zu gucken.
Ich könnte gleich morgen damit anfangen. Mal endlich ein Flattr-Konto einrichten, um Kreative im Netz zu fördern. Oder was für meinen Datenschutz zu tun – und diese geschwätzige What’s-App-App von meinem Smartphone werfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“