Kolumne Nullen und Einsen: Die Datenkrakenhakennase
Der Niedergang der Stahlemails, Geistesgegenwart billig bei eBay, ein ungarischer Hirtenhund und andere Internet-Entdeckungen im Fieberwahn.
K rank sein, also: ein bisschen Fieber und Schnupfen und einen matschigen Kopf haben, ist ja an sich was Gutes, ein Grund zum Runterkommen, eine körpereigene Auszeit, bald werden es sicher Selbsterfahrungsbücher mit Titeln wie „Zwei Wochen Scharlach. Meine kleine Flucht aus dem To-do-Listen-Wahn“ in die Beststellerlisten schaffen.
Krank sein ist aber blöd, wenn man noch eine Kolumne schreiben muss, aber die durchschnittliche Konzentrationsspanne nur noch fünf Sekunden beträgt und man mit glasigen Augen ziellos durchs Internet hovert. Bonmots ploppen auf, „I watched them marry on MySpace and saw them divorce on Facebook“, dann ein unfassbar komisches Animated GIF mit einem Affen und einer Katze, dann ein Text über geplante Zugfahr-Stipendien für Autoren in den USA. Ich schicke ihn E., sie schickt mir dafür einen Link zu einem Video über die Bahnstrecke New York – Washington und es läuft durch und danach kommen „Lessons from a Master Cat Photographer“. Schon wieder Katzen, sie sind überall, wie passiert mir das bloß immer?
Parallel reden natürlich alle über WhatsApp, weil das ja verkauft wurde und dann auch noch ein paar Stunden ausgefallen ist, aber was soll ich dazu jetzt sagen, ich hab ja nicht mal mehr ein Smartphone, weswegen ich auch bei Quizduell nicht mitreden kann (ich bin ein lausiger Online-Kolumnist), aber, ja, WhatsApp kostet mehr als Jamaika oder der Vatikan, und? Solche Vergleiche helfen uns doch jetzt wirklich nicht weiter! „Nur mal kurz: Bei facebook zu verkünden, dass man jetzt von whatsapp zu threema wechselt... hä?“ ist definitiv der beste Beitrag zum Thema.
Darunter wird dann ein Titanic-Text über eine mutmaßlich antisemitische Karikatur in der SZ verlinkt, die Mark Zuckerberg mit Datenkrakenhakennase zeigt (mehr dazu hier). Wäre ich jetzt auch wieder nicht von alleine drauf gekommen, dass das antisemitisch ist, weil ich weder bei Kraken noch bei Mark Zuckerberg an „jüdisch“ denke, selbst im dritten Anlauf nicht, sondern eher an 1. Antipasti, 2. Tentakelsex, 3. Sharktopus und 1. Harvard, 2. Lockenkopf, 3. Diesen süßen Hund der Zuckerbergs, wie war gleich sein Name, ah, ja: Beast, ein Puli ist das, ein ungarischer Hirtenhund. Supergeil.
Aber egal. Da kommt schon wieder was Neues auf Facebook rein. Die Jahresbilanz der Wirtschaftsvereinigung der deutschen Emailindustrie nämlich, der Absatz von Gussemails sei zwar leicht gestiegen, der von Stahlemails sank im Berichtsjahr 2013 jedoch von 6.058 auf 5.973 Tonnen. Ein trauriger Trend, wieder richtet das Internet einen Berufszweig zugrunde. Und Samstagabend wird dann plötzlich ein Sack voller Beiträge zu einer fancy Netzkultur-Konferenz im Haus der Berliner Festspiele in meine Timelines gespült, einer Konferenz, auf der jede Menge Bekannte von mir rumlaufen und von der ich nicht einmal wusste. Ich bin WIRKLICH ein lausiger Online-Kolumnist.
Auf einem Foto etwa sieht man Miriam Meckel, die meint, ihren Vortragstitel „Ego Update: Keine Asymmetrierung ohne uns“ mit dem Zufallsshirt-Generator entwickelt zu haben und jemand klagt „Warum kommen da alle Leute, die ohnehin vollkommen überpubliziert und unterüberlegt sind?“ und ich frage mich sehr lange, wieso die Hinterköpfe der Anwesenden links unten in dem Bild alle wie Sitzsäcke aussehen, bis ich merke, dass es sich um Sitzsäcke handelt.
„Von der Netzkultur-Konferenz habe ich die Idee für ein neues Gartenhaus mitgenommen. So kann's gehen“, schreibt Christiane Frohmann anderswo, und kurz davor, oder war es danach, hatte sie ihr neues Tumblr Find your Phenomen on eBay verlinkt, wo sie automatisch generierte Werbung zu Google-Suchen sammelt. „Finden Sie tolle Angebote auf eBay für Leben nach dem Tod...“ oder „Bei eBay finden Sie eine große Auswahl an Geistesgegenwart...“, so was Tolles sieht man auch nur, wenn man mal den Adblocker ausschaltet. Puh. Ich sollte dringend mal nach Gesundheit googeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja