Kolumne Nüchtern: Winter des Lebens
Bücher übers Trinken sind beliebt, ebenso die Vorstellung, dass Schriftsteller Alkoholiker sind. Doch der Konsum hat seinen Preis.
V or einem Jahr habe ich mir das Wort „Grace“ auf das Handgelenk tätowieren lassen, was so viel heißt wie Gnade, Anmut oder Güte. Ich bin nicht religiös, aber oft unzufrieden mit meinem Leben. Ich mag es, daran erinnert zu werden, dass es so viel gibt, wofür ich dankbar sein kann.
Dankbar für die Bücherstapel zum Beispiel, die sich mit Blick auf die kommende Buchmesse bei mir angesammelt haben. In vielen der Herbsttitel geht es ums Trinken. Vor allem zwei sind mir ins Auge gefallen. „Tessa“, der wunderbare Debütroman der Autorin Nicola Karlsson, dreht sich um ein junges Model und Partygirl, das sich durch die Berliner Mitte der nuller Jahre feiert und dabei, ohne es zu bemerken, süchtig wird.
In Paul Austers beeindruckenden Memoiren „Winterjournal“ hingegen geht es um ihn selbst, um einen überaus erfolgreichen Mann im Winter seines Lebens, der schon immer zu viel getrunken hat und damit auch nicht aufhören kann, weil er glaubt, dass sein Körper sonst auseinanderfiele. An der Oberfläche sind diese Bücher kaum miteinander vergleichbar. Auster schreibt autobiografisch, „Tessa“ ist Fiktion. Trotzdem zeigen sie auf, wie viele verschiedene Formen Alkoholismus annehmen kann.
Menschen mögen Bücher über das Trinken. Die meisten Menschen mögen auch die Vorstellung, dass Schriftsteller Alkoholiker sind. Die ganze Idee des Schreibens wirkt so ein bisschen gefährlicher, romantischer. Und die Literatur hat auch eine Reihe schwer trinkender Hochkaräter hervorgebracht: William Faulkner, Ernest Hemingway, Tennessee Williams oder F. Scott Fitzgerald etwa, John Cheever oder Raymond Carver, Richard Yates, Dorothy Parker, Truman Capote, Marguerite Duras oder Elizabeth Bishop.
Einige von ihnen sind gegen Ende ihres Lebens nüchtern geworden, andere starben an den körperlichen Folgen des Trinkens, ein paar von ihnen nahmen sich das Leben.
In Ruhe zu Tode trinken
Alkohol macht nicht kreativer, er hilft dem Schriftsteller auch nicht dabei, mit der Einsamkeit des Schreibtischs umzugehen. Er kreiert lediglich den Eindruck eines psychischen Ballons, einer sanften inneren Echokammer, in der man quälende Gefühle und Erinnerungen vergisst. Für einen Preis, versteht sich.
Im Nachlass von John Cheever findet sich eine Rede, in der er über den Grund für seine späte Entscheidung, mit dem Trinken aufzuhören, spricht. „Viele Freunde“, heißt es dort, „sagten mir, dass alles in ihrem Leben seine Ordnung hätte. Ihre Kinder seien verheiratet, ihr Geld vernünftig investiert, und nun könnten sie sich in aller Ruhe zu Tode trinken.
Einer von ihnen erstickte beim Whisky-Trinken. Ein anderer sprang von einem Kliff. Einer zündete sein Haus an und verbrannte sich selbst und seine Kinder. Für eine Zeit lang hielt ich das irgendwie für angebracht. Ich dachte, sich zu Tode zu trinken sei alles andere als alarmierend. Bis ich feststellte, dass ich mich selbst zu Tode trank.“
Am Ende von Karlssons „Tessa“, nach einer schmerzhaften Abwärtsspirale, die in einer brutalen Vergewaltigung mündet, erlebt man als Leser mit, wie im Inneren der Protagonistin der Entschluss heranreift, sich irgendwie zu retten. Einen Schlussstrich zu ziehen, auch wenn man nicht weiß, wie dieser aussehen wird.
Das ist ein Moment von „Grace“, glaube ich. Ein seltenes Geschenk. Die meisten Trinker, die ich kenne, sind vom Schlage Austers. Sie versuchen dem Winter ihres Lebens mit dem Glas in der Hand zu begegnen, die Augen verschlossen vor der Katastrophe, die sich vor ihnen abzeichnet. In Abgeschiedenheit, während es immer kälter wird.
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