piwik no script img

Kolumne Nach GeburtBig parent is watching you

Kameras an der Wand, Sensoren im Babybett – wollen wir wirklich, dass Kinderzimmer zu Hochsicherheitstrakten werden?

Damit ließe sich bestimmt prima der Garten überwachen Foto: dpa

W ährend meiner Elternzeit habe ich online zwei Kindervideos gesehen: In dem einen stürzt eine Kommode auf einen zwei Jahre alten Jungen, sein Zwillingsbruder hilft ihm, sich zu befreien. In dem anderen ist ebenfalls ein Zweijähriger zu sehen, er liegt im Bett, im Halbschlaf feuert er sein Lieblingseishockeyteam an: „Let’s go, Rangers!“

Die Kommentierung war eigentlich überall gleich: Auf der einen Seite: „Albtraum aller Eltern“ und „zum Glück noch mal gut gegangen“. Auf der anderen Seite: „süß“, und irgendwas mit „Wenn die Rangers mal den Stanley Cup gewinnen . . .“.

Nur eine wichtige Anmerkung oder – genauer gesagt – Frage fehlte in allen Beiträgen zu den Videos: Warum zur Hölle installieren Eltern Kameras in den Zimmern ihrer Kinder?

Die eine Aufnahme zeigt ja, was das bringt: gar nichts. Das Kind liegt eine Ewigkeit unter dem Schrank – und wer muss es darunter hervorzerren? Der Bruder! Kein Elternteil stürmt herein, niemand. Wo waren alle? Vorm Fernseher, um sich das Spektakel live anzuschauen?

Statt die Kamera einzurichten, hätten die Eltern im Kinderzimmer mal lieber den Schrank an die Wand schrauben sollen. Aber damit kann man natürlich nicht so geile YouTube-Videos produzieren.

Die Standardausrüstung für besorgte Eltern

Und weshalb muss man den Schlaf eines Zweijährigen filmen? Ich könnte das verstehen, wenn das Kind schwer krank wäre, aber so wirkt es nicht. Das scheint eher so eine Art Standardausrüstung für ganz normal besorgte Eltern zu sein. In einem Text über den süßen, kleinen Rangers-Fan schreibt der Autor sogar „Thank God for baby monitors“.

Thank. God. For. Baby. Monitors.

Wer noch ein bisschen besorgter ist, für den gibt es Matten mit Sensoren zur Überwachung der Atmung und des Herzschlags. Wird mehr als 20 Sekunden lang keine Bewegung registriert, schlägt das Babyphone Alarm. Das Gesamtpaket Audio-, Video- und Bewegungs- beziehungsweise Atmungsüberwachung gibt’s ab ungefähr 200 Euro. Thank God.

Ich kann gut verstehen, dass Eltern sich Sorgen machen und ihr Kind gern 24 Stunden am Tag behüten wollen. Doch glauben Sie mir, Sie schlafen nicht besser, wenn immer wieder irgendein Sensor piept. Meine Tochter hatte schließlich das volle Programm – und wie oft allein dieser Sauerstoffsättigungssensor, der um ihre minikleine Hand geschlungen war, verrutschte. Nicht schön.

Ich war froh, als meine Tochter während ihrer Zeit auf der Intensivstation und danach peu à peu all diese Sachen loswurde: erst den Schlauch zur künstlichen Beatmung, die aufgeklebten Elektroden, dann den intravenösen Zugang, dann den Sensor zur Messung der Sauerstoffsättigung – und sich schlussendlich auch die Magensonde aus der Nase zog.

Man könnte es bei einem gesunden Kind ja auch einfach nur mit einem Audio-Babyphone und – statt mit Überwachung – mit Vertrauen versuchen. Vertrauen darin, dass ein Kind, dass gut und gesund einschläft, auch gut und gesund wieder aufwacht. Dafür kann man dann – wenn man will – tatsächlich Gott danken. Für all den Überwachungskram danken Sie besser Media Markt oder Amazon oder Saturn oder den Herstellern.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • @"Ich verstehe nicht, wozu diese Leute Kinder in die Welt setzen…" &

     

    Meine a gut abgehangener Erfahrung -

    Anwort - "Kinder als Verlängerung -

    Des geharkten Wohnzimmers!"

     

    kurz - Es ist ein Graunen - in -

    Kombi mit Heli&Drohnen-Kit! &

    Danke Jürn Kruse!

  • 7G
    7964 (Profil gelöscht)

    Ich verstehe nicht, wozu diese Leute Kinder in die Welt setzen, wenn sie sie dann von einer Kamera beobachten lassen - das wird eine Kindheit wie die von Kaspar Hauser. Arme Socke.

  • Mich würde ja mehr die familiäre Entfremdung stören. Zweijährige in einem Kinderbett statt Familienbett? Oder gar in einem eigenem Zimmer. Da kann man keine persönliche Bindung aufbauen und das wird dann mit der Technik nachgeholt. Traurig.