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Kolumne MithulogieLiebe ist schöner als Kapitalismus

Darf ich nur mit Menschen kooperieren, denen ich nie widerspreche? Nein, wir müssen Probleme gemeinsam lösen und dabei solidarisch sein.

Make Love not War bedeutete nicht nur Ficken statt Schießen Foto: imago/ITAR-TASS

V or Kurzem habe ich einen unkontroversen Artikel auf Facebook gepostet. Zumindest dachte ich, er wäre unkontrovers. Es ging um das Positionspapier der FDP mit der Forderung, den Berufsstand der Heilpraktiker*innen abzuschaffen. Scherz: Die FDP schreibt natürlich Heilpraktiker ohne *. Frauen* dürfen anscheinend weiter praktizieren.

Innerhalb Sekunden entzündete sich eine Diskussion contra Alternativmedizin und contra FDP. Pro ist ja nicht die größte Stärke von Facebook. Ich bekam Mails, dass Homöopathie Humbug sei, und andere, die Angst hatten, der Staat würde uns demnächst allen präventive Chemotherapie zwangsverordnen. Und ich dachte: Hey, wenn wir uns nicht mal einigen können, ob Leute selbst auswählen dürfen, wie sie behandelt werden wollen – wie sieht es dann bei wirklich kontroversen Themen aus?

Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass Menschen nicht besonders gut darin sind, vom Konkreten aufs Allgemeine zu schließen. Ja, wir streiten uns über Globuli, aber wir gehen zusammen auf die Straße #unteilbar. Das war schon ein verdammt kühnes Unterfangen im Oktober, eine Demo für Solidarität zu organisieren. Was wäre gewesen, wenn nur 100 Nasen gekommen wären? Wir nennen uns #unteilbar, weil wir so ironisch sind?

Statt dessen kam… rund eine Viertelmillionen. Es ist nämlich nicht so, dass alle Welt plötzlich nach rechts gedriftet wäre. Das wirkt nur so, weil die 243.000 Menschen der Unteilbar-Demo die selbe Anzahl an Nachrichtenminuten bekamen wie die 300 Mitglieder des AfD Parteitags am selben Tag in Thüringen.

Theorie und Praxis

Dafür gibt es – ätsch! – seit heute ein Buch mit den Reden der #unteilbar-Kundgebung. Die Themen reichen von der Mietbremse via Gewerkschaften für Ryan Air Pilot*innen bis zur Seenotrettung und zum dritten Geschlechtseintrag – und bei allen diesen Themen geht es ans Eingemachte. Deshalb stänkerte die Welt: „Dass der Zentralrat der Muslime unteilbar mit der Giordano-Bruno-Stiftung verbunden ist, die alle zwei Jahre einen Blasphemie Kunstpreis vergibt, darf bezweifelt werden.“

Ja, darf ich etwa nur mit Menschen kooperieren, mit denen ich an jedem Punkt übereinstimme? Oder mit den Worten der ersten Rednerin Kübra Gümüsay: „Es geht nicht darum zu sagen: ‚Seht mal her, alles ist toll. Es gibt überhaupt keine Probleme.‘ Es geht darum zu sagen: ‚Wir sehen die Probleme. Wir sehen die Konflikte. Aber wir wollen sie lösen. Und zwar: gemeinsam.‘“

Denn das ist es, was wir brauchen: eine Theorie und Praxis der Liebe und Solidarität. Hört sich hippie an? Scheiß drauf! In den Sixties konnte man noch sagen: Make Love not War. Und das bedeutete eben nicht nur Ficken statt Schießen, sondern die selbe Aufmerksamkeit in Kommunikation und Transformation zu stecken wie in Unterschiede.

Deshalb: Egal, ob ihr Arnica nehmt oder Aspirin – I love you all!

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Mithu Sanyal
Autorin
Dr. Mithu M. Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Autorin Themen: Sex, Gender, Macht, (Post)Kolonialismus, Rassismus, Wissen schreibt eine regelmäßige Kolumne für die taz "Mithulogie" Bücher u.a. "Vulva" (Wagenbach), "Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens" (Nautilus.)
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2 Kommentare

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  • Zitat: „Deshalb: Egal, ob ihr Arnica nehmt oder Aspirin – I love you all!“

    Whow! Was für ein Statement!

    Ich bin nicht sicher, dass Mithu Sanyal und ich die selbe Definition von Liebe teilen. Ich halte es ja eher mit dem Wiki-Eintrag, der erklärt, Liebe sei: „ein starkes Gefühl, mit der Haltung inniger und tiefer Verbundenheit zu einer Person (oder Personengruppe), die den Zweck oder den Nutzen einer zwischenmenschlichen Beziehung übersteigt“.

    Wenn ich ganz tief in mich gehe, nehme ich „innige[] und tiefe[] Verbundenheit“ nicht unbedingt jedem Menschen gegenüber wahr. Mit den aller meisten Menschen verbindet mich dann doch eher eine Zweckgemeinschaft, die stark am „Nutzen [...] zwischenmenschliche[r] Beziehung[en]“ orientiert ist. Soll heißen: Ich muss nicht jeden Menschen lieben, um mit allen einigermaßen auskommen zu wollen. Ich bin schließlich (auch) Materialstin.

    Allerdings gebe ich gern zu, dass es dem Auskommen in der Regel besser bekommt, wenn es „durch eine entgegenkommende tätige Zuwendung zum anderen“ unterstützt wird. Contra zu geben, ist nur bedingt hilfreich. Das hat damit zu tun, dass die Leute einfach ungern diskutieren. Sie belehren lieber, wahrscheinlich weil sie nie etwas anderes gelernt haben von ihren diversen Erziehungsberechtigten.

    Zu einer echten Debatte gehören Pro und Contra, finde ich. Wobei das Contrageben meistens leichter fällt. Der Mensch an sich befasst sich ja mit den Dingen meist erst dann, wenn er sie für nicht sonderlich angenehm hält. Ist alles gut, schläft sein Verstand. Die, die von einem Zustand profitieren, haben also nur selten gute Argumente dafür. Das hemmt ihre Diskussionsneigung offenbar gewaltig – und ihre Liebe ihren Kritikern gegenüber auch.

    Aber wie weiß Wikipedia noch gleich zu sagen? "Das Gefühl der Liebe kann unabhängig davon entstehen, ob es erwidert wird oder nicht." Danke, Lexikon. Das ist doch mal ne positive Ansage!

    • @mowgli:

      'mit der Haltung inniger und tiefer Verbundenheit zu einer Person (oder Personengruppe), die den Zweck oder den Nutzen einer zwischenmenschlichen Beziehung übersteigt'

      Genau das ist es ja, was eine Kooperation mit anderen ermöglichen kann. Wäre es nur nach Zweck und Nutzen gedacht, würde wesentlich weniger Kooperation mit Menschen stattfinden, die nicht eh schon in meiner peergroup sind...