Kolumne Mithulogie: Sex ist nicht sexistisch!
Immer mehr Webseiten blockieren sexuelle Inhalte, um uns vor Sexismus zu schützen. Doch das Gegenteil von gut ist gut zensiert.
B äckereien verkaufen nicht nur Brötchen (je nach Bundesland durch Semmel/Schrippen/Wecken ersetzen), sondern auch Torten. Und an Torten scheiden sich die Geister. Wie der Bäcker aus Denver, der sich weigerte, eine Hochzeitstorte für ein homosexuelles Paar zu backen. Der Fall beschäftigt die Gerichte inzwischen seit über fünf Jahren. Jetzt hat eine Bäckerei aus Charleston eine Graduation-Torte zensiert: Jacob Koscinski hatte sein Abitur summa cum laude bestanden. Dummerweise heißt cum auf Latein zwar mit (mit großem Lob), doch auf Pidgin-Englisch bedeutet cum Sperma. Also schrieb die Bäckerei statt dessen: „Congrats Jacob! summa --- laude. Class of 2018“
Zur Abwechslung lag das nicht an der Sexfeindlichkeit der Bäckerei, sondern an der Webseite, auf der Jacobs Mutter den cake samt „cake message option“ bestellt hatte, und die hatten Filter für dreckige lateinische Worte. Die spinnen die Amerikaner.
Bloß tun wir das auch. Vor Kurzem schlug ich eine feministische Zeitung auf und las dort über das B-Movie „Vulva 3.0“. Ich war verblüfft, da ich in dem Film mitspiele, und zwar laut imbd-Datenbank als Dr. Mithu Sanyal. Richtig, „Vulva 3.0“ ist ein Dokumentarfilm über Labioplastik und kein bisschen B. Hätte sich die Journalistin den Film mal angeschaut, bevor sie darüber geschrieben hat. Genau das ist jedoch nicht so einfach, da Bestellungen mit Betreff „Vulva 3.0“ zurückkommen: refused by local policy. Dabei hat „Vulva 3.0“ die FSK bestanden, die freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, die jeden Film auf Mark und Bein oder auf Vulva und Cum prüft, und zwar sorgfältigst, es gibt sogar eine gesonderte Freigabe für gesetzliche Feiertage. Wieso also behandeln YouTube und Vimeo ihn, als wäre er Youporn? Pardon, nicht wie Youporn, denn da wird ja nicht zensiert.
Weil hier Privatunternehmen entscheiden. Und so fragwürdig die FSK auch ist, kann man gegen sie immer noch Beschwerde einlegen. Die freiwillige GAFA – Google, Apple, Facebook, Amazon – juckt mein Widerspruch nicht.
Und nicht nur die Vulva wird zensiert. Einer meiner Lieblingsblogs ist: Things my dick does. Eine Sammlung von Penisbildern mit aufgemaltem Gesicht und Strichärmchen, mit denen er sich beim Tortebacken durchs Mehl wühlt und eine Eierschale als Hut ausprobiert oder nach einer durchzechten Nacht sein Whiskeyglas umklammert. Bloß kann ich dem nicht mehr folgen, weil Tumblr mich informiert: Dieser Blog könnte bedenkliche Medien enthalten. Sicheren Modus aktivieren. Wie ich den Sicheren Modus deaktiviere, verrät mir Tumblr nicht.
Dabei sind Genitalien nicht sexistisch. Sex ist nicht sexistisch. Wir wollen nicht vor Sex beschützt werden. Wir wollen Respekt. Dafür gibt es zwar auch einen Filter, aber der heißt Empathie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“