Kolumne Minority Report: Gender-Dschihad geht weiter
Gendergerechte Sprache ist bekanntermaßen längst eine Norm, die kaum jemand mehr zu hinterfragen wagt. Was also tun? Ab in den Widerstand!
E ndlich ist der Weltfrauentag vorbei – und all die Girl-Power-Rabatte bei Parfümerien sind abgelaufen. Seit die Feiertagsfeminist*innen mit ihren hässlichen Antiprostitutionsplakaten die Straße geräumt und wir uns schnell noch zwei Mascara zum Preis von einem besorgt haben, können wir uns guten Gewissens wieder unserer zentralen Arbeit widmen: die deutsche Sprache zerstören.
Sie wissen schon: Gender-Unfug, Gender-Gaga oder neudeutsch auch Gender-Dschihad. In diesen Zeiten müssen wir besonders auf unsere Werte achtgeben, auch wenn gendergerechte Sprache längst eine Norm ist, die kaum jemand mehr zu hinterfragen wagt. Kürzlich erst wurde das Gendersternchen zum Anglizismus des Jahres gekürt, was den letzten Schritt der Machtübernahme unseres Sternchen- und Unterstrichregimes markierte.
Doch schon regt sich der Protest von Rebell*innen, die sich mit dem längst vergessen geglaubten Revolutionär namens „generisches Maskulinum“ solidarisieren, der heute nur noch als Randphänomen existiert, etwa in sämtlichen Stadtverwaltungen, Ministerien, Massenmedien, Schulbüchern und im Nischenblatt „Grundgesetz“.
Eine Gruppe von namhaften Widerstandskämpfer_innen hat sich gemeinsam mit der Untergrundorganisation „Verein der Deutschen Sprache“ gegen die Herrschaft der gendergerechten Sprache ausgesprochen. Mit gefährlichen Kampfansagen wie: „Keinen stört es, dass alles Weibliche sich seit 1000 Jahren von dem Wort ‚das Weib‘ ableitet“, wollen die Widerständigen eine Welt kreieren, in der wir auf binär getrennte Toiletten gehen und Menschen pathologisieren, die sich weder als „Frau“ noch als „Mann“ identifizieren. Dazu haben sie auch noch zum radikalsten aller Mittel greifen müssen: einer Unterschriftenaktion!
Her mit der totalen Sprachkontrolle – endlich!
Es gibt also Grund, besorgt zu sein und neue Verbindlichkeiten für unsere Sprache auszuhandeln. Dazu ein paar Ideen: Wie wäre es, wenn wir ein dickes gelbes Buch drucken, in dem wir alle Regeln und Möglichkeiten unserer Sprache streng regulieren? Auch könnten wir eine Software entwickeln, die eine rote Kringellinie unter falsch geschriebene Wörter zaubert?
Im letzten Schritt könnten wir noch ein totalitäres Schulsystem errichten, in dem es für jeden kreativen Sprachgebrauch, der dem dicken gelben Buch widerspricht, Notenabzug gibt, und das auf einem willkürlichen Empfehlungssystem basiert, das jene Notenabzüge mit der lebenslangen Einschränkung von Karriereoptionen ahndet. (Schon zu weit gedacht?)
Nur eins bleibt noch zu klären: Sollen wir die Selbstbezeichnung der Widerstandskämpfer*innen respektieren und sie lieber „Widerstandskämpfer“ nennen? Ich weiß: total unleserlich und unlogisch, weil es sich bei ihnen überwiegend, aber eben nicht nur um (alte weiße) Männer handelt. Aber tun wir es, einfach aus einem pragmatischen Grund: Diese Leute verdienen es nicht mal, gegendert zu werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken