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Kolumne Minority Report„Unteilbar“, überall, jeden Tag

Fatma Aydemir
Kolumne
von Fatma Aydemir

Mit den chronischen Brandstiftern zu sprechen, hat keinen Sinn. Lasst uns lieber nach der großartigen Demo die Energie in unseren Alltag tragen!

Wir sind viele, wir sind mehr: Unteilbar in Berlin Foto: dpa

O kay, krass. 242.000 Menschen haben am Wochenende in Berlin gegen rechte Hetze demonstriert. 242.000. Das sind drei ausverkaufte Berliner Olympiastadien, 1.600 volle Ryanair-Flieger oder – ziemlich genau die Einwohnerzahl von Chemnitz.

Während einige Politiker*innen und Journalist*innen aus einer Art AfD-Versteher-Geste heraus (Ulf Poschardt, Sahra Wagenknecht, Berliner CDU) sich vor allem darum bemühten, den Unteilbar-Demoaufruf als linksradikal (oh nein, unsere Autos!!) und antirassistisch (was?? pfui, ekelhaft!!) zu ‚diskreditieren‘, haben sich die Leute in Berlin nicht beirren lassen und sind auf die Straße gegangen. Tür auf, zack, raus. Einfach so. Und kein einziges Auto hat gebrannt. Interessant, oder?

Und so geben manche noch am Tag der größten Demo, die Berlin seit Jahren erlebt hat, alles, um das Gegenteil des Unteilbar-Slogans „Solidarität statt Ausgrenzung“ zu leben. Bild-Chef Julian Reichelt etwa fragt über Twitter mit Verweis auf das Video, das eine Rede des Blocks der Interventionistischen Linken zeigt, (die mit einem Mini-Block ebenfalls Teil der Massendemonstration war) was denn nun der Unterschied zwischen Pegida und Unteilbar sei. An sich soll es ja keine dummen Fragen geben. Doch die Noch-Nachbarn aus dem Springer-Haus schaffen es selbst an diesem Kindergarten-Konsens erfolgreich zu rütteln.

Hm. Wie erklärt man denn nun einem Brandstifter den Zweck eines Feuerlöschers – ohne dass er aus purem Trotz versucht zehn weitere Feuer zu legen? Und vor allem: Ist es das überhaupt wert? Ich glaube ja nicht. Wenn die Führung der auflagenstärksten deutschen Tageszeitung keinen Unterschied erkennt zwischen einer Gruppe, die weiße Menschen als überlegen erachtend mit NS-Rhetorik spielt, und einer anderen Gruppe, die sich für die Einhaltung von Menschenrechten ausspricht, dann hat nicht dieser Typ ein Problem. Sondern Deutschland hat ein Problem.

Direkt auf der Straße

Deshalb ist die Unteilbar-Demo ein großer und wichtiger Erfolg – aber nur, wenn jetzt etwas folgt. Und zwar nicht noch eine Feelgood-Massendemo, sondern richtige Maßnahmen. Nicht mit Blick in den Bundestag, sondern direkt auf der Straße. Wir müssen die Energie nutzen, die diese Riesendemo aus vielen kleinen, teilweise untereinander nicht immer einverstandenen und solidarischen Gruppierungen verbreitet hat: Migrant*innen, Gewerkschafter*innen, Queerfeminist*innen, Jüd*innen, Muslim*innen, Grüne, Sozialdemokrat*innen, Marxist*innen, Liberale, Wendy-Leser*innen, Flugbegleiter*innen und hedonistische Feier-Druffis.

Wir müssen der rechts-nationalen Angstmache-Politik etwas entgegensetzen. Und das sollten wir uns nicht für bunte Veranstaltungen an sonnigen Tagen aufheben, sondern zu unserem Alltag machen. Jedes Mal, wenn in der U-Bahn eine Hijabträgerin angepöbelt wird, jedes Mal wenn wir im Supermarkt einem Typ mit Nazi-Tatoos begegnen, jedes Mal wenn beim Weihnachtsessen ein Onkel rassistische Parolen zum Besten gibt, müssen wir widersprechen. Sonst passiert dasselbe wie nach der „Willkommenskultur“ im Sommer 2015: Die Stimmung ebbt ab, es wird Winter, und das Feld wird wieder den Hetzern überlassen.

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Fatma Aydemir
Redakteurin
ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).
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9 Kommentare

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  • Sei realistisch! Fordere das Unmögliche! Erreiche das Beste!

    Der wichtigste Satz des Grundgesetzes ist und bleibt der Artikel 1, der von der unantastbaren Würde des Menschen spricht. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben sehr bewusst im ersten Satz nicht vom Staat oder der Staatsgewalt gesprochen und auch nicht vom Volk gesprochen, sondern vom Menschen, vom einzelnen Menschen und von seiner Würde. Das ist eine Absage an alle Ideologien, die das Leben oder die Lebenschancen von Menschen zugunsten angeblich höherer Zwecke opfern. Das ist auch eine Absage an jede Form der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Überzeugungen oder ihres Glaubensbekenntnisses.

    In Artikel 1 heißt es nicht: Die Würde des Deutschen ist unantastbar, es heißt auch nicht die Würde des Gesunden oder des gut Verdienenden, sondern es heißt: Die Würde des MENSCHEN ist unantastbar. Das ist keine unverbindliche philosophische Meinung, sondern ein bleibender Auftrag und eine ständige Aufgabe für das Handeln aller politisch Verantwortlichen, aller Organisationen und Initiativen, aller Unternehmen, und überhaupt aller Menschen in unserem sozialen und demokratischen Rechtsstaat.

    Solidarität und Menschenwürde kennen keine Grenzen!

    Das war eine historische Demo und die entstandene Bewegung wird Geschichte schreiben und Deutschland sowie EU viel besser machen und nur positiv verändern!

  • Es gab also Kritik gegen die Demonstranten. Wer hat recht?

    Ein früherer Bundespräsident wird hiermit zitiert:

    „Gustav Heinemann hat einmal vom Grundgesetz als einem großen Angebot gesprochen. Damit meinte er nicht, daß der Staat und seine Ordnung ein Supermarkt sei, aus dem sich jeder nach seinen Bedürfnissen – oder sogar darüber hinaus – bedienen solle. Im Gegenteil: Das Angebot, das uns das Grundgesetz macht, ist eine Aufforderung, das Gemeinwesen aktiv mitzugestalten. Möglichst viele sollen sich in die öffentlichen Angelegenheiten einmischen, weil es um ihre Lebensbedingungen geht und um ihre Zukunftschancen.

    Das große Angebot, das uns das Grundgesetz mach, ist ein Aufruf zu aktiver Teilhabe. Das gilt für die Mitarbeit in Parteien und Vereinen, in Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen. Das gilt für das Engagement in Kirchen, in Verbänden und in Stiftungen.

    Das Grundgesetz ist nicht der Staat. Aber mit unserem Grundgesetz können wir gut Staat machen. Dazu brauchen wir Bürgerinnen und Bürger, die nicht darauf warten, daß die anderen etwas machen, sondern die begreifen, daß der Staat die Sache aller ist.“

    Somit sind Menschen, die an der Demo teilgenommen haben, genau das, was Grundgesetz ausmacht! Sie helfen anderen Menschen, die Hilfe brauchen und sie stehen für die Menschenrechte ein! Solche Menschen machen die Bundesrepublik Deutschland einzigartig!

    Solidarität und Menschlichkeit kennen keine Grenzen!

  • Während etliche Politiker*innen und Journalist*innen aus einer Art AfD-Versteher-Geste heraus (Ulf Poschardt, Sahra Wagenknecht, Berliner CDU) sich vor allem darum bemühten, den Unteilbar-Demoaufruf als linksradikal "...." zu diskreditieren‘, wie Fatma Aydemir unterhaltsam schreibt, sollten wir deren insgeheim frohlockende List und Tücke offenlegen, gemeinsam in den Partykeller zum Ablachen gehen, im Kindergarten Political Correctness Gehege sich gemeinsam einsam Einen zu feixen.

    Warum?:

    Ist doch der Begriff "unteilbar" ein ureigen antikommunistischer Kampfbegriff der CDU/CSU aus Zeiten des Kalten Krieges 1948-1989.

    "unteilbar", vom Initiator Jonas Lüscher im Kontext mit dem Begriff "liberale Demokratie" kommuniziert, klingt für mich nach "Formierter Gesellschaft" des CDU/CSU Volkskanzlers Ludwig Erhard im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik Deutschland 1949-1989 unter der Losung am 17. Juni eines jeden Jahres nach dem Volksaufstand in der DDR 1953 gegen Arbeit im Akkord zu gleichem Lohn in Sonntagsreden vom "Unteilbares Deutschland" .

    Wer die Verhältnisse in Europa über die EU hinaus aus der Schockstarre des postraumatisierend Kalten Krieges, Kolonialismus in Handel, Banken, Wandel, Verkehr, Wirtschaft, Wissenschaft, Ressourcen, Forschung, Kultur, Medien erst zum Tanzen dann zum Singen im "Wir Gefühl" bringen will, kommt nicht umhin, Künstler, Kulturschaffende, Aktivisten, politisch Interessierte vor Ort grenzübergreifend in Regionen direkt im Selbstverständnis anzusprechen, sowohl Handelsbilanzdefizite, als auch Handelsbilanzüberschüsse nicht für unteilbar zu erklären, s. Deutschlands Handelsbilanzüberschuss als Exportweltmeister in Höhe von 300 Milliarden €/anno zu Lasten anderer Welthandelspartner in der EU, in Europa, in der Welt als ausgleichwürdig zu definieren.

    Dabei gebe ich zu bedenken, wer von liberaler Demokratie spricht, läuft Gefahr, Demokratie zu relativieren, dass Morgen schon selbstverständlich von gelenkter Demokratie die Rede ist.

  • Ob man sich bei Axel Springer, bei der Berliner CDU und bei den Wagenknecht- Anhängern nicht vielleicht doch ein bisschen wundert in wessen Gesellschaft man sich mit der eigenen Mäkelei so befindet? Und was das über einen selbst aussagt? Für Scham wird es vermutlich nur selten reichen, aber dass man abseits steht sollten eigenlich alle merken.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    "Mit den chronischen Brandstiftern zu sprechen, hat keinen Sinn." So weit so richtig.



    Aber wie wollen Sie denn die Spaltung der Gesellschaft überwinden? Mit einer Demonstration von weniger Menschen als in Bayern AfD gewählt haben sicher nicht. Gefühlte Mehrheiten sind keine realen Mehrheiten.



    Da bin ich eher beim SPD-Innenminister Pistorius, der gestern bei Anna Will sagte "Lasst uns einen Konsens zur Migration unter allen demokratischen Kräften schließen".

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @4813 (Profil gelöscht):

      Da bin ich bei beidem: Demonstration, um zu zeigen, dass man die Schnauze voll hat von der ständigen Debatte um die AfD und Übernahme ihrer Positionen und ihres Duktus. Und politische Arbeit an einem Gesellschaftsentwurf, der einen demokratischen Konsens bietet. Der dann aber eine Neuausrichtung v.a. der SPD bedeuten würde - eine sozialdemokratische Partei kann eben nicht mit der CSU gemeinsam regieren!

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    Ich trete jetzt erst mal aus der Linken aus, weil Sarah Wagenknecht das ja nicht schafft. Unteilbar für mich: ein Grund, diese Partei zu verlassen und in eine andere einzutreten.

    • @970 (Profil gelöscht):

      Herzlichen Glückwunsch. Ich hoffe, viele folgen Ihrem Schrit, damit die Linke versteht, dass jeder klar denkende Mensch keine sektiererische Fraktionsvorsitzende haben will.

      • 9G
        970 (Profil gelöscht)
        @Rinaldo:

        Ich hoffe darauf, dass Sahra bald dazu aufgefordert wird, die Partei zu verlassen. Meine Positionen vertritt sie jedenfalls überhaupt nicht - das war zwar schon immer schwierig mit ihr, nun ist es aber unmöglich geworden.