Kolumne Männer: Der große Diktator

Was macht einen Mann aus? Gene, Prägung, Beides? Die Antwort kennt nicht einmal Thilo Sarrazin.

Als ich zehn Jahre alt war, wollte ich Weltherrscher werden. Das stellte ich mir recht angenehm vor. Man könnte als Superdiktator bestimmt ausschlafen. Danach gäbe es Nutella-Brötchen ans Bett, und so ab mittags würde ich geruhen, der Menschheit zu sagen, was sie zu tun und zu lassen hat. Doch ein schwierigeres Projekt geriet mir dazwischen: die Pubertät. Heute frage ich mich, ob die Sache mit der Weltherrschaft hätte klappen können.

Mit Interesse las ich im Spiegel, es gebe Wissenschaftler, die ein "Diktator-Gen" ausfindig gemacht haben wollen. Es heißt AVPR1a und soll mit besonders rücksichtslosem Verhalten zusammenhängen. "Prompt wird spekuliert", schreibt das Magazin, das Gen "erkläre die Gräueltaten von Adolf Hitler". Vielleicht, so hoffte ich, wird dieses Gen ja erst im Verlauf eines Lebens angeknipst. Hitler galt als Soldat im Ersten Weltkrieg ja noch als Eigenbrötler, dem seine Vorgesetzten lange das Eiserne Kreuz Erster Klasse vorenthielten. Wegen mangelnder Führungskraft. Doch dann: Nürnberger Parteitage für Hitler. Vielleicht Nutella-Brötchen für mich?

Doch ich wurde enttäuscht. Die Hebrew University in Jerusalem will 2007 in einer Studie etwas ganz anderes herausgefunden haben: AVPR1a fördere zwar die Produktion eines Hormons, das Hirnzellen beeinflusst. Nur sorge das Gen nicht für Massenmord und leckeres Frühstück, sondern für ausgeprägte soziale Fähigkeiten: Wers hat, zeige sich besonders selbstlos.

Warum erwähne ich das? Weil ich zeigen möchte: Wir verstehen bislang nicht, welche Charaktereigenschaften genetisch veranlagt sind. Gene verhalten sich, nach allem, was wir wissen, ähnlich den Tasten einer Schreibmaschine: Sie mögen vorhanden sein, aber ob und wann sie zum Zuge kommen, hängt auch von äußeren Einflüssen ab. Und ob sie dann in Kombination mit anderen Tasten das Wort "großer Diktator" formen oder "unterbezahlter Redakteur", ist eine noch kompliziertere Angelegenheit. Die Antwort darauf kennt nicht mal Thilo Sarrazin.

Deshalb gibt es auch keine abschließende Antwort auf Herbert Grönemeyers Frage, wann ein Mann ein Mann sei. Das Y-Chromosom allein macht ihn nicht aus. Über Jahrtausende haben Gesellschaften versucht, diesem Wesen, das keine Kinder gebären kann, etwas ähnlich Essenzielles zuzuschreiben. Erst galten Männer als "von Natur aus" gerissene Jäger und fleißige Arbeiter. Ein Blick in meinen Freundeskreis straft diese These Lügen. Als Maschinen selbst den kräftigsten Kerl schlapp aussehen ließen, überlegte man sich: Wenn ein Mann schon keine Maschine ist, so kann er sich ihr zumindest im Verhalten annähern. Rational sollte er sein, autark und genügsam. Die Folge waren zugerichtete Jungenseelen, zwei Weltkriege und drei Robocop-Filme. Heute lassen sich die Menschen von Pseudoexperten nicht mehr sagen, wer wann ein Mann sei. Oder dumm, weil er der falschen Religion angehört.

PS: Ein neuseeländischer Epidemiologe will jüngst ein "Krieger-Gen" entdeckt haben. Drücken Sie mir die Daumen für die Weltherrschaft.

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Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

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