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Kolumne MachtAlles nicht so goldig

Bettina Gaus
Kolumne
von Bettina Gaus

Was würde eine Koalition aus Schwarz, Grün und sonst wem bedeuten? Den Abschied der sozialen Komponente aus der Politik.

Reden wir über Farben! Foto: dpa

D ie meisten Leute interessieren sich mehr für Geschichten über Menschen als für Statistiken, was sich erheblich auf Quote und Auflage auswirkt. Diese journalistische Binsenweisheit hat schon viel Unheil angerichtet, und ein Ende der Misere ist nicht in Sicht. Wie sich derzeit an der Berichterstattung über den Bundestagswahlkampf zeigt. Die den Eindruck erweckt, bei uns werde ein Kanzler oder eine Kanzlerin gewählt und nicht etwa ein Parlament.

Natürlich ist ein Duell zwischen einem Mann und einer Frau um denselben Posten im Regelfall unterhaltsamer als eine Diskussion über die soziale Sicherungssysteme. Aber nur dann, wenn es sich tatsächlich um einen Zweikampf handelt und nicht um Schattenboxen.

Davon kann jedoch keine Rede sein. Außer Martin Schulz selbst glaubt wohl niemand mehr daran, dass er der nächste Regierungschef sein wird. Woran liegt das? Nein, es liegt nicht daran, dass die SPD in allen Umfragen derzeit weit abgeschlagen hinter den Unionsparteien liegt. Sondern an den möglichen Koalitionen, mit denen die Parteien – auch und vor allem die Kleinen – liebäugeln und über die derzeit erstaunlich selten gesprochen wird.

Rot-rot-grün kann man vergessen. Nicht nur deshalb, weil die Chancen dafür rechnerisch verschwindend gering sind, sondern weil keine der möglichen Partnerinnen daran irgendein Interesse zeigt. Wenn sie den Sprung bisher nicht gewagt haben, dann werden sie es nach diesem Wohlfühl-Wahlkampf ganz bestimmt nicht tun.

taz.am wochenende

40 Jahre Deutscher Herbst: Am 5. September 1977 entführten RAF-Terroristen Hanns Martin Schleyer, um ihre Führungsspitze freizupressen, die in Stammheim inhaftiert war. 91 Geiseln kamen hinzu, als die Lufthansa-Maschine „Landshut“ entführt wurde. Die Bundesregierung zeigte sich unbeugsam, Schleyer wurde ermordet, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe nahmen sich das Leben. Zeitzeugen und Nachgeborene rechnen mit der RAF ab – auf 14 Seiten. Am Samstag am Kiosk, im eKiosk oder im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Bliebe die Ampel. Auch dieses Bündnis wäre nur möglich, wenn am Ende sehr viele Unentschiedene doch die SPD wählten. Aber man darf ja mal träumen. Sollte die FDP sich treu bleiben, dann nimmt sie, wen immer sie kriegen kann, wenn sie dafür mitregieren darf. Und nun kommen die Grünen ins Spiel.

Ach ja, die Grünen. Auch sie träumen. Schon lange, und zwar mehrheitlich von schwarz-grün. Regieren macht halt mehr Spaß als Opposition. Die Aussichten für Jamaika stehen so schlecht nicht, zumal die SPD allmählich zu begreifen scheint, dass sie mit jeder weiteren Großen Koalition an Einfluss und Bedeutung verliert.

Reden wir also über schwarz-grün-gelb. Außenpolitisch würde das halbwegs gut funktionieren, zumal die Grünen schon bewiesen haben, dass sie auf diesem Feld der Politik jeden Grundsatz über Bord zu werfen bereit sind. Da hat sich selbst die FDP als prinzipienfester erwiesen. Umweltpolitisch könnte das ebenfalls ganz gut laufen, die Union hat sich da schon häufiger kompromissbereit gezeigt, zumal mit einer Kanzlerin, die Angela Merkel heißt. Bleibt die Sozialpolitik.

Alles paletti, oder?

Ist die überhaupt noch wichtig? Uns geht’s doch gold, jedenfalls, wenn man dem Wahlkampf glauben will. Hohes Wirtschaftswachstum, niedrige Arbeitslosigkeit – alles paletti, oder? Die Realität sieht anders aus: Verrottende Infrastruktur.

Die unteren 40 Prozent der Bevölkerung – das ist nicht gerade eine Randgruppe! – verfügen heute über weniger Kaufkraft als vor 20 Jahren. Bezahlbare Wohnungen in Städten sind immer schwerer zu finden. Die Gefahr der Altersarmut steigt. Es gibt ein wachsendes akademisches Proletariat. Uns geht’s gold?

Wer eine Jamaika-Koalition befürwortet, sollte wissen, was das bedeutet: nämlich den Abschied von der sozialen Komponente in der Politik. Für die stehen heute weder Union noch FDP noch Grüne. Wer meint, das störe doch keinen großen Geist, kann sich freuen. Alle anderen können das nicht. Offenbar freut sich nicht die gesamte Stammwählerschaft der Grünen. Dass der Wahlkampf, den sie führen, derzeit besonders erfolgreich ist, dürfte wohl nicht einmal ihr Spitzenduo behaupten.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die große Menge an Klischees in diesem Kommentar einer erfahrenen Politik-Journalistin hat mich doch etwas überrascht.

    Vielleicht sollte es das nicht - speziell das Grünen-Bashing ist ja in allen Lagern sehr beliebt, auch wenn kaum eine rationale Begründung dafür zu finden ist.

    Liebe Bettina Gaus: Außenpolitisch sind die Grünen sicher prinzipienfester als die FDP, und natürlich gibt es da große Differenzen zwischen der Großen Koalition und den Grünen wie auch zwischen der Lindner-FDP und den Grünen, wenn auch nicht so große wie zwischen Teilen der "Linken" und dem Rest der Republik. Und ja, das wäre eines, aber nur eines der Hindernisse für eine "Jamaica"-Koalition auf Bundesebene.

    Noch größer sind die Differenzen allerdings in der Umwelt- und Klimaschutzpolitik - da gibt es eben auf Bundesebene keine andere Partei, die das halbwegs ernst nimmt. (Und daraus ergeben sich auch weitere Differenzen zur Ausrichtung bei der Außenpolitik, neben der Frage der Menschenrechte.)

    Merkwürdig empfinde ich allerdings die Aussage, die Grünen stünden nicht für die soziale Komponente der Politik. Wenn das stimmen würde: Wer denn dann? Die SPD hat ja nun sicher nicht mehr "soziale Komponente", oder? Es mag ja stimmen, dass viele Grün-Wähler aus besser situierten Akademiker-Kreisen stammen - aber in der Parteibasis ist der Anteil jener, die auch die andere Seite aus eigener Erfahrung kennen, sicher nicht kleiner als bei SPD oder der Linken. Und ein großer Teil der Aktiven, auch der zur Wahl stehenden, kommt aus den sog. Sozialen Berufen. Das prägt sowohl Biografien als auch Programme und Grundhaltungen.

    Zugegeben: Bei Schwarz-Gelb-Grün wäre das Soziale in Gefahr - nicht wegen, sondern trotz der Grünen, denn diese Kombination käme nur zustande, wenn die Grünen so schwach abschneiden wie derzeit vorausgesagt. Und das bedeutet wenig Gewicht in Koalitionsverhandlungen. Aber so weit wird es nicht kommen, da eine solche Koalition schon an ganz andern Punkten scheitern würde.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Was kommt 2021?

    Irgendwann können auch Schwarz und Blaubraun miteinander. Für eine Regenerierung des linken Spektrums wär 's 'ne Chance.

  • Ich bin skeptisch, dass es bei den Wahlprognosen besser aussehen würde, wenn die SPD die Punkte angesprochen und dafür Lösungsmöglichkeiten benannt hätte, die Frau Gaus erwähnt hat.

     

    Hätte die SPD diese oder ähnliche Aspekte thematisiert, hätten 99 Prozent der Medien - und vor allem diejenigen, die nach Lösungen rufen - noch stärker für Merkel & Co. "getrommelt".

     

    Ist es nicht auffällig u. bemerkenswert, dass die SPD nur mit Kanzlerkandidaten an die Macht gekommen ist, deren Politik eher gegen die eigene Partei ausgerichtet war (Schmidt & Schröder), oder die Union wirklich den Anschluss an die gesellschaftliche Entwicklungen gravierend und spürbar verloren hatte (wie Ende der 1960er-Jahre; "Mief" der Adenauer-/Erhard-Regierungen einerseits und andererseits "wir bauen das moderne Deutschland", inklusive neue Ostpolitik).

    • @Der Allgäuer:

      Trotz aller gesellschaftlichen Entwicklungen, die es auch in Deutschland in Richtung "freiheitlich-demokratisch", "postmateriell" usw. gegeben hat, ist der Kern, in unterschiedlich starker Ausprägung, weiterhin konservativ.

       

      Vor allem die "Erlebniswelt" vieler ist der Beruf und der Arbeitsplatz, und dort werden - von rühmlichen Ausnahmen, die die Regel bestätigt, abgesehen - nach wie vor sehr konservative Werte gelebt und hoch gehalten, was sich auf das Denken, Fühlen und Verhalten sehr stark auswirkt.

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    DANKE VIELMALS, Frau Gaus!!

    So klare Wort zu lesen, und dazu noch in der TAZ, macht hoffnungsvoll.

    DANKE nochmals.

     

    Es ist zu befürchten, dass es genau so kommen wird.

     

    Wenn es eine wirkliche Alternative zu den o.g. geben würde, und keine Nazispartei, die diese Alternative für sich beansprucht, gäbe es einen gewaltigen politischen Rutsch, denke ich.

    Mangels des o. g. wird alles so bleiben wie es ist, oder sogar noch schlimmer kommen.

  • "Die unteren 40 Prozent der Bevölkerung – das ist nicht gerade eine Randgruppe! – verfügen heute über weniger Kaufkraft als vor 20 Jahren."

     

    Dürfte auch nach den Fixkosten deutlich weniger sein bei deutlich mehr als 40%. Man muss sich nur die Statistiken zu Binnennachfrage anschauen - Stagnation seit 25 Jahren. Hätte nie gedacht, dass die Aufrufe der Konsumverweigerer solche Resonanz finden.

     

    Zu Schwarz-Grün (BTW, als Farbkombination spuckt Wikipedia den "Grünen Anarchismus" raus: https://en.wikipedia.org/wiki/Green_anarchism) - das ändert fast nichts, außer, dass die Union einen noch pflegeleichteren Partner haben würde...