Kolumne Macht: Dada in Deutschland
Klar, der Wahlkampf hat begonnen. Aber ist das ein Grund, die Mehrheit der Bevölkerung zu ignorieren, die nicht mit der AfD sympathisiert?
P arallelgesellschaften sind gefährlich für Staat und Mehrheitsgesellschaft, darüber herrscht weitgehend Einigkeit. Schön. Dann sollten wir über die Parallelgesellschaft reden, die am stärksten in der Öffentlichkeit steht und sich derzeit besonders eigentümlich verhält. Nämlich die Gruppe der Spitzenpolitiker der im Bundestag vertretenen Parteien.
In welchem Land lebt diese Gruppe? Worüber redet sie? Was sind ihre Werte und Normen? Ich höre zu, konzentriert, aber ich verstehe sie einfach nicht. Jedenfalls inhaltlich nicht.
Die äußeren Rahmenbedingungen sind allerdings leicht zu beschreiben. Die Bundeskanzlerin wird von ihren Koalitionspartnern wegen eines Kurses scharf angegriffen, der längst in die genaue Gegenrichtung hin korrigiert worden ist. Teile der Opposition verteidigen diesen Kurs und tun wider besseres Wissen so, als werde er weiterhin gefahren.
Das ist nicht Politik, das ist Dada. Gemäß der Definition von Wikipedia: „Man ersetzte die durch Disziplin und die gesellschaftliche Moral bestimmten Verfahren durch einfache, willkürliche, meist zufallsgesteuerte Aktionen in Bild und Wort.“ Die Dadaisten waren ihrer Zeit wirklich weit voraus.
Ich bin ja nicht blöd. Natürlich weiß ich, dass der Wahlkampf angefangen hat. Natürlich weiß ich, dass Angela Merkel dem Springer-Verlag schon lange ein Dorn im Auge ist. Natürlich weiß ich, dass alle Bundestagsparteien an die AfD Stimmen verloren haben und dass sie diese schönen Stimmen gerne zurückhaben wollen. Verstehe ich ja auch.
Aber muss man die große Mehrheit der Bevölkerung, die nicht mit der AfD sympathisiert, vollständig ignorieren? Ich fühle mich missachtet.
Politisch heimatlos
Niemals zuvor habe ich einer Wahl, zu der ich aufgerufen wurde, derart lustlos entgegengesehen wie der kommenden Landtagswahl in Berlin. In kommunalpolitischer Hinsicht unterscheiden sich die Programme der verschiedenen Parteien kaum. Alle wollen mehr Fahrradwege, auch die AfD. Und wenn ich die Wahl als eine Form der Meinungsumfrage zur Bundespolitik betrachte: Wen soll ich dann wählen?
Wer es nach wie vor richtig findet, dass nicht nur Hunden und Katzen, sondern auch Menschen in existenzieller Bedrohung geholfen werden sollte – und zwar unabhängig davon, was andere Leute oder Staaten davon halten –, ist politisch inzwischen heimatlos. Es ist wahr: Teile der Grünen und der Linken verweisen tapfer, wenn auch etwas schüchtern, auf Menschenrechte und das deutsche Grundgesetz.
Aber sie stehen ja sogar in den eigenen Reihen auf verlorenem Posten. Boris Palmer und Sahra Wagenknecht haben mit markigen Sprüchen, in denen sie vor angeblichen Gefahren durch Flüchtlinge warnten, eher gepunktet als an Einfluss verloren.
Gegenwärtig kommen täglich noch etwa 100 – einhundert – Flüchtlinge nach Deutschland. Um die von der CSU geforderte Obergrenze von 200.000 zu erreichen, müsste man um zusätzliche Hilfsbedürftige werben. Deutschland hat inzwischen eines der restriktivsten Asylgesetze der Welt. Abschiebungen und Rückführungen in diktatorisch regierte, gefährliche Länder werden für menschenwürdige Möglichkeiten gehalten.
Ich sehe das anders. Ganz anders. Ich will nicht, dass irgendjemand in „meinem Namen“ – und es geschieht „in meinem Namen“, weil ich Bürgerin eines demokratischen Staates bin – Menschen in lebensbedrohliche Situationen schickt. Das ist eine staatstragende, verfassungskonforme Haltung, die in Übereinstimmung mit internationalen Konventionen steht. Vorschläge, wen ich mit dieser Haltung wählen soll, werden gerne entgegengenommen.
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