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Kolumne MachtZurschaustellung von Solidarität

Bettina Gaus
Kolumne
von Bettina Gaus

Die Staatschefs, die in Paris trauerten, waren bestimmt erschüttert. Aber nicht so, dass sie ihre Lippenbekenntnisse auch ernstnähmen.

Staatschefs, Freiheitskämpfer, Regimegegnerauspeitscher unter sich – vereint für die Presse- und Meinungsfreiheit. Bild: dpa

N ichts gegen Schalmeientöne, es gibt ja viele Leute, denen so etwas gefällt. Nichts gegen ein wohliges Gemeinschaftsgefühl, das sich auf eine vermeintliche Übereinstimmung in wichtigen Fragen stützt, von der man wissen könnte, dass sie dem Alltag nicht standhält. Nichts gegen verlogene Gesten auf Trauerfeiern, sie sind bei derlei Anlässen üblich. Aber man kann es auch übertreiben mit der Heuchelei.

Es hat den Überlebenden des Satiremagazins Charlie Hebdo nichts genutzt, dass sie sich wütend gegen Vereinnahmungen zur Wehr gesetzt haben. Diejenigen, die ein Interesse an der Zurschaustellung von Solidarität hatten, verfügten über wirksamere Mittel.

Damit soll den internationalen staatlichen Repräsentanten in Paris nicht pauschal abgesprochen werden, erschüttert gewesen zu sein. Vermutlich waren sie es, die Ereignisse wenige Tage zuvor waren ja schrecklich genug. Aber so erschüttert, dass sie ihre eigenen Lippenbekenntnissen ernst genommen hätten – nein, so erschüttert waren sie nun auch nicht.

Von dem hohen Wert der Meinungs- und Pressefreiheit war in den letzten Tagen viel die Rede. Und dann marschieren die Freiheitskämpfer Seit‘ an Seit‘ mit Vertretern von Staaten, in denen Blogger ausgepeitscht oder Leute zu jahrelangen Gefängnisstrafen verurteilt werden, weil sie an friedlichen Demonstrationen teilgenommen haben. Dem Westen sind strategische Verbündete im Nahen Osten wichtig genug, um sich um die inneren Verhältnisse in dem jeweiligen Land nicht zu scheren.

Mehr noch: Den Regimen wird sogar – im Wortsinne – die Munition geliefert. So finanzieren die USA einen großen Teil des ägyptischen Militärs, das in Kairo auf Andersdenkende schießt und Kritiker willkürlich festnimmt. Kürzlich wurde dort jemand verhaftet, weil er in einem Café über Politik gesprochen hatte. Die Gedanken sind frei. Aber auch nur die. Von Reden, Schreiben, Diskussionen und Versammlungen steht in dem Volkslied nichts. Aber man muss gar nicht so weit in die Ferne schweifen.

taz am wochenende

Allmählich zeigt sich, wie brüchig der Pariser Anschlag Frankreich gemacht hat. „Die Muslime werden dafür teuer bezahlen“, sagt Bestseller-Autor Taher Ben Jelloun in der Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 17./18. Januar 2015 Und: „Charlie Hebdo“ spottet weiter: ein weinender Mohammed auf der Titelseite, im Heft Scherze über Dschihadisten. Die Streitfrage „Muss man über Religionen Witze machen?“ Außerdem: Keine Angst vor Hegel. „Viele denken, sie müssten das sorgfältig durchstudieren, wie über eine lange Treppe aufsteigen. Ich finde, man kann auch mittendrin irgendetwas lesen.“ Ein Gespräch mit Ulrich Raulff, dem Leiter des deutschen Literaturarchivs in Marbach. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Ausgerechnet in Frankreich wurde jetzt der Komiker Dieudonné in Polizeigewahrsam genommen. Wegen Verherrlichung des Terrorismus soll ihm der Prozess gemacht werden. Er hatte Sympathien für die Gewalttäter von Paris erkennen lassen.

Es gibt gute Gründe, den 48-Jährigen abstoßend zu finden. Sein Antisemitismus und seine Kontakte zu Rechtsextremen genügen dafür schon, da hätte es der jüngsten Geschmacklosigkeit gar nicht bedurft. Aber es ist ein Unterschied, ob man jemandem nicht die Hand geben möchte oder man ihn für seine Ansichten bestraft sehen will.

Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass jemand so oft und so laut all das sagen darf, was die Mehrheit der Gesellschaft für richtig hält. Nicht einmal dann, wenn es die überwältigende Mehrheit ist. Sondern dass jemand auch das Gegenteil dessen sagen darf. Das ist selbst innerhalb der Europäischen Union, deren Politiker und Politikerinnen sich wegen ihrer Freiheitsliebe derzeit so gerne auf die Schulter klopfen, keine Selbstverständlichkeit. Sondern ein Recht, das ständig neu erkämpft werden muss.

Ach ja: Bei der Meinungsfreiheit handelt es sich übrigens um ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat, nicht um das Recht auf Bekenntnisse zur staatlichen Ordnung. Das ist in den letzten Tagen gelegentlich aus dem Blickfeld geraten.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Das generelle Demonstrationsverbot in Dresden macht offensichtlioch, dass der Präventionsstaat ein Polizeistaat ist. Erstaunlich ist es nicht, dass die Parlamentsopposition nicht dazu aufruft, trotzdem zu demonstrieren. So ist die Umwandlung der europäischen Staaten in totalitäre EU-Strukturen wohl eher unaufhaltsam, wenn sich nicht ein massiver Widerstand herauisbildet.

  • In Bezug auf Dieudonné: Seine Aussage ist gewaltverherrlichend. Gewalt verherrlichende Rede hat jedoch selbst einen einschüchternden Effekt auf andere Menschen. Und Einschüchterung bedeutet wiederum eine Einschränkung der Redefreiheit dieser Menschen. Deshalb finde ich es berechtigt, dass solche Rede strafbar ist.

    • 8G
      889 (Profil gelöscht)
      @Smaragd:

      Sie konstruieren hier über drei Ecken eine Grundrechtsverletzung, mit der Sie konkrete Eingriffe in Grundrechte rechtfertigen.

  • Baldur Jahn. Je suis Dresden? Ein bißchen Spaß muß sein?

     

    Dankenswerterweise erinnert Bettina Gaus daran, das die Freiheitsrechte Abwehrrechte gegen den Staat sind. Das kann in heutigen Zeiten nicht oft genug wiederholt werden.

     

    Angela Merkel, Joachim Gauck, Wolfgang Thierse - von Heiko, in Schlips und Kragen und von sogenanten “DDR-Bürgerrechtlern” von der letzten Unterschriftentheke ganz zu schweigen - sind dagegen mehr so für die guten Staatsdemos und gegen die Demos von den Falschen. Oh, soviel Aufschrei gen Himmel muß sein: Professor-Form-ist-die-Schwester-der Freiheit-Pluralismuspapst-Winfried-Steffani, wo sind wir mit den Zonis aller Landschaften und ewigen Astajusos, bloß hingekommen?

     

    Bei aller spätpubertären, altersgerechten Liebe, die dem GG und nicht “meiner Frau” gilt, fällt einem, der Demokratie sei Dank, zu unserer überforderten politischen Klasse immer wieder etwas ein; denn die Welt ist komplex und nicht alternativlos. Sogar Träume.

    Morgen sind alle, die in Paris für das Wesen der Demokratie auf die Straße gingen in Dresden und nehmen zum Schutz der Demokratie ihr Demonstrationsrecht an sich wahr.

    Unzerbrochene Bleistifte dürfen dazu - statt Kerzen - in die Höhe gehalten werden. Gern auch: Je suis Dresden!

  • Die öffentlich, regelmäßig und mit größtmöglicher Publikumswirkung getätigten Aussagen von Dieudonne sind eindeutig gewaltverherrlichend und volksverhetzend.

     

    Das hat nichts mehr mit "nicht die Hand geben" zu tun, sondern mit "Faschismus ist keine Meinung".

  • Bettina Gaus, hervorragende Kolumne! Danke.

     

    Frau Kirschgrün, ich teile Ihren Beitrag.

  • Danke Frau Gaus, dass sie die wahren Trittbrettfahrer, die sich einen kostenlosen Werbeauftritt für ihre in meinen Augen menschenverachtende Politik (das gilt ausdrücklich auch für die kapitalistischen Länder) verschafft haben, benannt haben.

    Dabei bin ich zu einhundert Prozent Voltaires Meinung, nur ändern müssten wir endlich etwas in Richtung Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit (nicht die Gauck'sche Freiheit!):

     

    Ich werde Ihre Meinung bis an

    mein Lebensende bekämpfen,

    aber ich werde mich mit allen Kräften dafür einsetzen,

    dass Sie sie haben und aussprechen dürfen.

    Voltaire (1694 – 1778)

     

    Über die folgenden Zitate könnte man ja vielleicht auch mal nachdenken:

     

    Armut ist die schlimmste Form von Gewalt.

    Mahatma Gandhi (1869 - 1948)

     

    Wer dem Verbrechen Nachsicht übt,

    wird sein Komplize.

    Voltaire (1694 – 1778)

     

    Viel Kraft für Erkenntnis und für's Tätig-werden uns allen.