Kolumne Luft und Liebe: Die Liebe höret immer auf
Der Frühling ist noch nicht da, die Frühjahrsmüdigkeit schon. Mit der Alkohol-Diät der „InStyle“ hätte man vielleicht ein wilderes Leben.
T ränen laufen wie bescheuert. Nasses Gesicht. Dann windgetrocknetes Gesicht. Ein Gedanke, noch einer, ein Gedankenwasserfall, neunasses Gesicht. Hoffentlich gibt es Füchse hier auf dem Friedhof, oder Eichhörnchen. Eichhörnchen verhalten sich zu Füchsen wie Elfen zu Menschen.
Es ist vielleicht dumm, auf dem Friedhof spazieren zu gehen, wenn man sowieso schon traurig ist. Oma liegt im Krankenhaus, schon wieder, ich habe Angst um sie.
Der Friedhof ist ganz ruhig. Zwischen den Blättern, die schon den ganzen Winter tot sind, und dem Schnee, der wieder festgefroren ist, kommen neue Blumen raus. Ich bin müde von der Buchmesse, auf der ich für die taz gebloggt habe, und auch sonst bin ich müde.
Ich wollte über einen Roman schreiben, der vor einer Weile erschienen ist. „Häschen in der Grube“ von Maria Sveland. Es geht um Vergewaltigung und wie schwierig es ist, Kinder davor zu bewahren, oder sich selbst, oder darüber zu sprechen oder Anzeige zu erstatten und dass mit einer Anzeige noch lange nicht alles in Ordnung gebracht ist, sondern dass man sich damit oft mitten in eine Hölle begibt, aus der man meinte, gerade entkommen zu sein.
Es ist das beste Buch über Missbrauch, das ich bisher gelesen habe, und ich wollte darüber schreiben, damit andere Menschen es auch lesen, aber ich hatte keine Kraft und musste beim Lesen immer wieder weinen. Jetzt ist das Erscheinungsdatum schon über zwei Monate her, jetzt kann man keine Rezension mehr anfangen.
Auf dem Friedhof, über den ich laufe, gibt es große, alte Familiengräber. Sie müssen einst sehr prunkvoll gewesen sein, aber inzwischen fallen sie langsam auseinander. An einem der Gräber steht ein Spruch: „Die Liebe höret immer auf“. Man kann noch erkennen, dass da einmal stand: „Die Liebe höret nimmer auf“, aber irgendwann ist das „n“ abgefallen. Ich muss ein bisschen lachen, als ich das sehe.
Später erzähle ich einem Freund davon, und er fragt, ob ich das „n“ abgemacht hätte, und ich sage Nein, natürlich nicht. Aber dann beschließen wir, nachts vielleicht noch einmal zum Friedhof zu gehen, über den Zaun zu klettern und die restlichen Buchstaben so abzubrechen, dass da nur noch steht: „Liebe immer“.
(Nein, natürlich machen wir das nicht. Es ist schöner, wenn die Zeit das selbst macht.)
Statt also über das schöne, traurige Buch von Maria Sveland zu schreiben, war ich auf der Buchmesse. Buchmessen funktionieren so, dass man sehr viel rumläuft und Kaffee und Prosecco trinkt. Viel mehr passiert da nicht. Man ist damit aber auch sehr im Trend, denn die Alkoholdiät ist das neue, heiße Ding. Hab ich in der InStyle gelesen.
Ein Artikel der aktuellen InStyle handelt von einem Selbstversuch, bei dem die Autorin eine Woche lang statt Abendbrot Weißwein und Gin Tonic trinkt. Sie nimmt davon nicht nur ab, sondern hat auch noch ein wildes Leben. Dafür kriegt die InStyle im Internet gerade heftigen Ärger. Ich bin nicht sicher, ob der Text eine Art Satire sein sollte. Auf jeden Fall ist diese Weichei-Variante mit Weißwein etwas albern. Ich hoffe, die Autorin kokst wenigstens noch dazu, das hemmt ja auch den Appetit. Und Heroin soll auch ganz gut helfen.
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