piwik no script img

Kolumne Luft und LiebeRumms, krach, ein Tabu zerkloppen

Wo Aufmerksamkeit knapp ist und Angst überall, kann man sich ruhig mal zum Arsch machen. Gerne auch mit Tradition und Eiern.

Kein Tabu, aber sichtlich zerkloppt Bild: blindguard / photocase.de

A ch, man hat es nicht leicht heutzutage. Kämpfen muss man wie ein Tier. All seinen Mut muss man aufbringen, sich sammeln und dann: die unterdrückte Meinung raushauen – rumms, zack, krach – ein Tabu zerkloppen, sich mit voller Wucht draufschmeißen, wahlweise Köpper oder Arschbombe, das nimmt sich bei manchen auch gar nicht so viel.

Tabus lauern nämlich überall, und Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut, im Gegensatz zur Angst. Die Angst ist da. Angst vor Fremdem, Neuem, Glibbrigem. Das Schöne ist, dass man damit nicht allein sein muss. Es gibt viele Therapieformen. Reden, handeln, sich zusammentun.

Sibylle L. ist so eine, die ihre Angst überwunden hat. Einfach mal drüber gesprochen, wie tief das alles bei ihr sitzt. Der Vater, die Mutter, aua! Sperma in Plastikbechern. Wie eklig ist das denn. „Eher düstere Gedanken“, das gab sie zu. Der Herrgott wird’s richten. Hände auf die Bettdecke, Blick zum Kreuz.

Nicht so bei Matthias M., der redet nicht nur, der handelt auch. Der hat, und auch er soll deswegen nicht mit vollem Namen genannt werden, „alle alternativen Lebensformen und alle möglichen Formen der Sexualität erprobt“. Er hat das in einem Brief an Stefan N. geschrieben, einem öffentlichen Brief, selbstverständlich. Und es spielt dann auch keine Rolle, welche Bilder diese „alle möglichen Formen“ hervorrufen, denn wo es um Meinungsfreiheit und das alles geht, da kommt es auf ein paar durchgevögelte Robbenbabys, Käsestullen und Legosteine auch nicht an.

Worauf es ankommt, ist Sichtbarkeit. Damit man sich nicht so ausgegrenzt fühlt, mit all diesen Tabus von Leuten, die einem was vorschreiben wollen. Die mutigen Menschen von der „Jungen Alternative für Deutschland“ haben Schilder gemalt, für „Gleichberechtigung statt Gleichmacherei“.

Gleichberechtigung hat für sie viel mit Hausfrauen, Müttern und aufgehaltenen Türen zu tun, das wird man doch wohl noch auf einen Zettel schreiben dürfen. „Ich bin kein Feminist, weil eine Mutter genauso wertvoll ist wie eine Vorstandschefin!“ – Ja, ja. Nämlich mindestens hundert Millionen Reichsmark.

Was auch hilft, ist, Debatten einfach für beendet zu erklären. Die junge AfD weiß das. „Ich bin keine Feministin, weil die Gleichberechtigung der Frau abgeschlossen ist – jetzt liegt es an den Frauen selbst, ihre Chance in die Hand zu nehmen!“ Ist so ’n Trick. Kommt nicht jeder drauf, muss man können.

Am schönsten jedoch ist die Aussage: „Ich bin keine Feministin, weil ich auch ohne Gender Eier in der Hose habe!“ Da ist im Grunde alles drin. So ein Gender sollte man sich genauso wenig einfangen wie einen Habitus, das ist ganz schwierig wieder loszuwerden.

Man sollte über all diese mutigen Menschen nicht lachen. Sie thematisieren ihre Ängste, das ist wichtig. Meinungsfreiheit muss sein. Natürlich ist es auch nur eine Einzelmeinung, dass sie sich dabei mit Inbrunst zum Arsch machen.

Denn das alles ist nicht einfach nur Rechtspopulismus. Das steht in einer Tradition, die mindestens so alt ist wie die deutsche Autobahn. Flach und dunkel halt. Aber Tradition.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Margarete Stokowski
Autorin
Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen."

    So hat der Philosoph Ludwig Wittgenstein das einmal postuliert. Innerhalb seines philosophischen Gebäudes war das völlig schlüssig. Es weist aber auch weit darüber hinaus, denn wenn es etwas gibt, wovon man nicht sprechen kann, stellt sich doch sofort die Frage, was das ist und warum man davon nicht sprechen kann. Für mich immer ein Zeichen guter Literatur, wenn sie versucht, das Unaussprechliche zu beschreiben. Unser Fortbestand als menschliche Wesen wird sehr davon abhängen, inwieweit es uns gelingt, unseren Ängsten Worte zu geben und unsere Sprachlosigkeit in vielen Bereichen zu überwinden. Margarete macht da mit Ihren Texten immer wieder Mut - und ich finde das gut so.

  • Und der Super-Hit :

    "Obwohl ich hinter den Ohren noch nicht trocken bin , hat mir die AfD für das Foto mit dem Dummspruch den Mindestlohn gezahlt ."

  • Auch schön : " Ich binein Arschloch , und das ist gut so ."