Kolumne Lügenleser: Kein Bock auf Revolution
Die Jahresrückblicke auf 2016 waren allesamt finster. Die Menschen denken, 2017 werde nicht besser. Doch es gibt da ein kleines Problem.
E s ist geschafft. Wieder ein Jahr rumgekriegt. Von Günther Jauch über Steffen Hallaschka bis Markus Lanz (sind das eigentlich drei Männer mit einer Persönlichkeit oder ein Mann mit drei Persönlichkeiten?), dürfte so langsam jeder Moderator einmal öffentlich das Jahr Revue passiert haben.
David Bowie, Istanbul, Merkel, Nizza, AfD, Donald Trump, Flüchtlingskrise, Prince, und was eben noch so hängen geblieben ist. Der allgemeine Tenor: 2016 war das schlimmste Jahr seit der Erfindung der Zeitrechnung. Es ist nicht überliefert, was die elendigen, von der Pest befallenen Menschen des Mittelalters oder die Einwohner von Pompeji um 79 n. Chr. dazu sagen, aber in der Opferrolle fühlt man sich hierzulande ja generell sehr wohl.
Bekanntlich geht es niemandem so schlimm wie uns. Die anderen, denen es wesentlich schlechter geht, die haben sich ja dran gewöhnt, das zählt nicht. Und endlich ist man in diesem merkwürdigen Zeitraum, in dem die Menschen annehmen, es würde sich irgendetwas ändern im neuen Jahr. Diese Zeit, in der man denkt, man könnte das alte Jahr abstreifen mit einem profanen Datumswechsel.
10 Deutsche sind dümmer als 5
Es gibt nur ein Problem: All diese Dinge, die in den Jahresrückblicken zu sehen waren, sind tatsächlich geschehen. Und Dinge, die geschehen, ziehen Konsequenzen nach sich. Das vergangene Jahr wirkte eher wie ein Türöffner. Ab jetzt gibt es keine Regeln mehr. Nach wie vor gilt Heiner Müllers Satz: „Zehn Deutsche sind dümmer als fünf Deutsche.“
Es tut mir leid, Ihnen jetzt schon die Hoffnung zu nehmen. Aber auch im neuen Jahr – bereits zum „Superwahljahr“ erklärt – wird es weitergehen mit der Abwärtsspirale. Ihr habt ja alle offenbar keinen Bock auf die große Revolution, dann machen wir eben so weiter.
Und da die Jahresrückblicke bereits liefen, hier eine kleine Vorschau auf das kommende Jahr. Hugh Hefner stirbt. Helmut Kohl wahrscheinlich auch. Donald Trump wird die Chinesen beschuldigen, an Hugh Hefners Tod schuld zu sein. Es wird Anschläge geben. Parteien werden diese Anschläge nutzen, um daraus Profit zu schlagen. Die AfD kommt über 20 Prozent. Le Pen wird Präsidentin von Frankreich. Ein paar Naturkatastrophen, zwei, drei rührselige Geschichten über die Freundschaft zwischen einem Wiesel und einem Pinguin, Deutschland gewinnt den Confed-Cup, Michael Schumacher erwacht aus dem Koma und denkt – sehr zur Freude von Frédéric Prinz von Anhalt – er wäre Zsa Zsa Gabor. Und Jan Böhmermann macht irgendwas total Subversives mit RTL, einer Ziege und dem nordkoreanischen Lebemann und Volkshelden Kim Jong Un, das alle Gymnasiasten in den WG-Küchen von Saarbrücken bis Kiel vor Freude in die Hände klatschen lässt. Ansonsten alles wie gehabt. Fertig ist der Jahresrückblick 2017.
Sie können sich wieder umdrehen, alle fünfe grade sein lassen, sich in die private Bärenhöhle beziehungsweise Filter-Bubble zurückziehen und in den obligatorischen Winterschlaf verfallen. Es könnte schlimmer sein. Man stelle sich nur mal vor, man sitzt voller Pestbeulen am Fuße des Vesuvs. Das wär vielleicht ein Scheißleben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart