Kolumne Liebeserklärung: Das Testament des Stadtvaters
Der Mord an Danzigs Stadtpräsident könnte dem liberalen Klima der Stadt Schaden zufügen. Es liegt an seinen Nachfolgern, das zu verhindern.
W äre Danzig ein Land, hätte man Paweł Adamowicz wohl einen Landesvater nennen müssen. Aber vielleicht wird man nach der Ermordung des 53-jährigen Stadtpräsidenten von Danzig einen neuen Begriff brauchen. Paweł Adamowicz war Spross der Stadt und zwanzig Jahre lang Danzigs Stadtvater.
Als am Montag die Nachricht vom Tod Adamowicz’ bekannt wurde, dessen Eltern Vertriebene aus der nach dem Krieg an Litauen gefallenen Region Wilna waren, strömten die Menschen zu Tausenden auf den Długi Targ, den Langen Markt von Danzig, der von den wiederaufgebauten Bürgerhäusern der im Krieg zerstörten Stadt gesäumt wird. Danzigs Wiederaufbau war 1945 umstritten, aber am Ende setzten sich jene durch, die die Rekonstruktion als Verneigung vor dem europäischen Charakter der ehemaligen Hansestadt verstanden.
Auch Adamowicz hat Tradition und Moderne zu verbinden versucht. Im Rathaus hängen auch die Porträts der deutschsprachigen Bürgermeister, zugleich war Danzig eine der ersten polnischen Städte mit breiten Radschnellwegen, auf die man in Berlin bis heute wartet. Das liberale Klima hat vor Kurzem erst eine Freundin auf den Punkt gebracht, als sie meinte, in Danzig frage niemand im Kindergarten, ob das Kind getauft sei – in den meisten anderen polnischen Städten kaum vorstellbar.
Mehr als 45.000 Menschen kamen am Samstag zur Beisetzung. Unter den Trauernden befanden sich EU-Ratspräsident Donald Tusk, der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Ex-Präsident Lech Walesa. Und es waren fast 20.000 Danzigerinnen und Danziger, die bereits am Montagabend ihres Stadtvaters gedachten. Eine davon, die Kulturwissenschaftlerin Magdalena Izabella Sacha, hat auf der Rückfahrt ins benachbarte Zopott ein Gedicht mit dem Titel „Danziger Himmel“ geschrieben. So viele kamen in die Stadt, schreibt sie, die sie bald als die ihre liebten.
Und nun? Der Danziger Schriftsteller Stefan Chwin, dessen Bücher ebenfalls den Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart schlagen, ist pessimistisch. Der Mord an Adamowicz könnte eher der Rechten nutzen, weil sich viele Oppositionspolitiker nun fragen, ob ihnen etwas Ähnliches passieren könnte. Vieles hängt deshalb von Adamowicz’ kommissarischer Nachfolgerin Aleksandra Dulkiewicz ab. „Herr Stadtpräsident, lieber Paweł“, sagte sie am Montagabend beim Trauermarsch, „ich verspreche, dass wir, die Danziger, dein Testament erfüllen.“
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