Kolumne Liebeserklärung: Kampfhund Chico
Schlecht beleumundet und verachtet: ein Hund jenseits der Mainstreamgesellschaft. Aber die Agitation ist Klassenkampf von oben.
W eil jetzt alle über ihn herfallen wie ein Rudel Staffordshire-Mischlinge über ein Kleinkind, muss man ihn glatt doch mal ein wenig tröstlich knuddeln (nachdem man ihm sicherheitshalber vorher den Maulkorb angelegt hat): Der Kampfhund ist im wahrsten Sinne des Wortes der Underdog der Haustierszene.
Verwachsen, schlecht beleumundet, meist seltsam sabbernd, schielend, zu faltig, zu dick oder sonst wie jenseits der üblichen Schönheitsideale, unter fragwürdigen Umständen auf die Welt gekommen und womöglich auch noch mit Mundgeruch. Ein Hund jenseits der Mainstreamgesellschaft – der deshalb häufig auch gern von Menschen jenseits der Mainstreamgesellschaft gehalten wird.
Und beide werden genau deswegen von jenen, die die Mainstreamgesellschaft nach ihren Vorstellungen formen wollen, mit Inbrunst verachtet. Denn selten sieht man den Kampfhund gesittet vor dem Biosupermarkt wartend, schon eher knurrend vor Lidl. Agitation gegen Kampfhunde ist oft schlicht Klassenkampf von oben.
Sozialisation
Inwieweit die Tierchen überhaupt gefährlicher sind als andere Hunde entsprechender Größe, ist fragwürdig. Entscheidender ist die Sozialisation; da unterscheidet sich Bello oder eben Chico nicht groß vom Herrchen oder Frauchen.
Kommt es dann aber doch zum Äußersten, gilt die Empathie der Masse nur dem Hund – 250.000 Unterzeichner einer Onlinepetition fordern Gnade für jenen Chico, der in Hannover gerade seine Besitzer getötet hat. Das Schicksal der Besitzer scheint niemanden groß zu kümmern.
Tierschutz ist für gar nicht so wenige Leute eine elegante Form, die eigene (Menschen-)Feindlichkeit ungeniert auszuleben. Man wüsste gern, wie viele von denen, die fordern, der Hund dürfe nicht eingeschläfert werden, anschließend eine Currywurst verputzen.
Was also tun mit dem Hund? Auf einem Spezial-Gnadenhof durchfüttern, während für Lämmchen, Sau und Ochse niemand einen Finger rührt? In diesen Tagen wird oft nach China geblickt, von dort kann man viel lernen.
Auch der Chinese würde dem Kampfhund eine Liebeserklärung schreiben, denn Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen. Und das eingesparte Geld stecken wir dann in ein schönes Artenschutz- oder Sozialprojekt.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott