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Kolumne LiebeserklärungFrüher war alles besser

Ambros Waibel
Kolumne
von Ambros Waibel

Wer früher sagte, dass „früher“ alles besser gewesen sei, outete sich mindestens als Spießer. Im „Heute“ kennt der Kapitalismus keinen Schmerz.

Lametta, früher, und so. Foto: Francesca Schellhaas / photocase.de

F rüher war alles besser. Und zwar schon deswegen, weil der Satz „Früher war alles besser“ früher eindeutig als Lüge oder Miesheit zu erkennen war: Denn früher bedeutet ja „früher“ etwa die Zeit vor 1945 oder vor 1968. Wer also früher sagte, dass „früher“ alles besser gewesen sei, outete sich damit mindestens als Spießer, wenn nicht als Mitläufer oder Mörder. Was er oder sie eigentlich meinte, war: Führer war alles besser.

Heute können wir Älteren mit einigem Recht den – immer wenigeren – jungen Hupfern um uns herum mit Talleyrand entgegentreten: „Wer das Ancien Régime nicht kannte, wird niemals wissen können, wie süß das Leben war.“ Ob man dabei an die Zeit vor dem 11. September 2001 oder an die Epoche vor dem 9. November 1989 oder gar an jene glückseligen Zeiten denkt, als Willy Brandt Bundeskanzler war – das mag jeder mit sich selbst ausmachen.

Historiker sind sich heute mehr oder weniger einig, dass der eigentliche Schwenk ins Fatal-Freie mit dem Zusammenbruch des festen Wechselkurssystems von Bretton Woods begann. Nach 1973 kamen Thatcher und Reagan, Chomeini und Kohl, Hochgeschwindigkeitshandel und neoliberale Globalisierung. Letztlich also das, was Marx und Engels 1848 im „Manifest der Kommunistischen Partei“ bereits angekündigt hatten: Der Kapitalismus kennt keinen Schmerz, er hat „kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse“.

Gleichzeitig weist etwa der Historiker Andreas Rödder in seiner „Geschichte der Gegenwart“ darauf hin, dass sich aus dem schon sprichwörtlichen „Mainstream der Minderheiten“ eine nie dagewesene „Kultur der Inklusion“ entwickelt habe, in der „vielfältige Lebens- und Lernweisen als Pluralität wertgeschätzt werden“.

Anders gesagt: Heute darf jede*r mitmachen beim Spiel ohne Regeln. Aber früher war mehr Lametta.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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6 Kommentare

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  • "…Anders gesagt: Heute darf jede*r mitmachen beim Spiel ohne Regeln. Aber früher war mehr Lametta."

     

    Eben. Sagen Sie jetzt nichts.

  • Früher war auch das Lametta noch besser (als auf dem Foto) :-) :

     

    "Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird der „weiße“ Weihnachtsbaum mit Lametta dekoriert: als Symbol für den Mantel aus Eis und Schnee, unter dem das neue Leben seine Kräfte sammelt und sich regt. Heute ist Lametta zumeist aus Aluminiumfolie oder gar Kunststoff. Hier kommt das ursprüngliche Lametta, der leonische Draht."

    http://www.manufactum.de/leonisches-lametta-p754123/

     

    "Als Grundstoff wird traditionell Stanniol verwendet, das geschmolzen, gegossen, gewalzt und in sehr schmale Streifen geschnitten wird...

    Stattdessen besteht Lametta heute meist aus metallisiertem Kunststoff (Mylar). In der DDR war auch Lametta aus Alufolie üblich."

    https://de.wikipedia.org/wiki/Lametta

    • @Hanne:

      Je nun. Die Frage, ob früher mehr Lametta war, weil es:

       

      a)qualitativ besser und deshalb beliebter gewesen ist,

       

      oder

       

      b)den "Mainstream der Minderheiten" und die "Kultur der Inklusion" noch nicht gegeben hat,

       

      ist wissenschaftlich-objektiv leider nicht zu klären. Vergleichs-Umfragen sind schließlich vollkommen unmöglich, so lange es noch keine Vergleichs-Möglichkeiten gibt. Auch so eine Tatsache, die den Satz: "Früher war alles besser" als Humbug entlarvt.

       

      Fest steht, dass in der DDR mehr billiges Lametta war, als im heutigen Ostdeutschland teures Lametta ist. Qualität (was immer das im Einzelnen auch meinen mag) kann nämlich zwar durchaus ein Kriterium sein für eine Entscheidung, aber eben nur unter bestimmten Voraussetzungen (Wahlfreiheit).

       

      Im Übrigen ist "besser" die erste Steigerungsform von "gut". Was aber ganz genau "gut" ist, entscheidet überall auf der Welt im Falle größtmöglicher Wahlfreiheit weniger der Anbieter einer Ware, als vielmehr ihr Abnehmer. Und zwar für jedes einzelne Produkt einer Marke separat. Ob das gut ist, besser oder großer Mist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Vermutlich hängt die Wertung nicht unwesentlich davon ab, ob man Endverbraucher ist oder Hersteller. Und natürlich davon, ob man gern ein mündiger Bürger, ein Mitläufer oder ein Früher… - äh: ein Führer sein möchte.

       

      Merke: Besser ist vor allem eines: ausgesprochen relativ.

  • "... oder gar an jene glückseligen Zeiten denkt, als Willy Brandt Bundeskanzler war..." - Nun ja, leider mit Berufsverbot, weil die Sozialdemokrat(inn)en nicht als "Vaterlandsverräter" gebrandmarkt werden wollten.

  • Na, manches war früher besser, etwa Sozialhilfeempfänger in den 70ern und 80ern lebten freier und weniger gegängelt als die Hartz4-Empfänger jetzt. Auch der Umgang mit Sexualität war eigentlich freier als heutzutage

  • Das unterschreibe ich.

    Der Neoliberalismus/Kapitalismus macht uns nicht glücklicher. Obwohl es uns eigentlich gut geht.

    Mehr noch: Der Mensch ist vielleicht gar nicht erschaffen für eine Welt, in der es ihm gut geht. Mir scheint, er ist dann am glücklichsten, wenn er Entbehrungen ertragen muss, aber gute Ideen hat, wie er die Zukunft besser gestalten könnte.

    Aber vielleicht ist es auch nur unerträglich, so viele Wahlmöglichkeiten zu haben (alleine der Kauf von Eiern ist ja schon eine echte Herausforderung an jeden, der sich als - im positiven Sinne - "Gutmensch" begreift). Deshalb lieben wir KanzlerInnen, die Worte verwenden wie "basta" und "alternativlos". ;-)