Kolumne Liebeserklärung: Die Münchner „Abendzeitung“
Schick, schick, Schickeria: Die Boulevardzeitung muss Insolvenz anmelden. Nicht nur für Münchnen ist das ein herber Verlust.
M it 66 Jahren, da fängt das Leben an, sang Udo Jürgens, der alte Troubadour. Nicht so für dich, geliebte Abendzeitung. Dein Leben endet nun – just 66 Jahre nach deiner Gründung.
Am Aschermittwoch, dem Tag, an dem die Feierwilden daheim im Bett den Faschingskater kurieren, beantragte die Geschäftsführung dein Insolvenzverfahren. Welch ein Katzenjammer! Zu viele Millionen hatte deine Produktion in den letzten Jahren verschlungen – und seit Jahrzehnten schon immer weniger eingebracht. Keine Schlankheitskur hat etwas genützt. Es schien, als schlüge in den Herzen der MünchnerInnen keine Liebe mehr für dich und das, wofür du einst mit so viel Verve eingetreten warst.
Klugen Boulevard wolltest du machen. Klatsch und Tratsch und Stadtgeschichten links des Establishments erzählen. Münchens Glamour und Lässigkeit in Wort und Bild für die Ewigkeit bannen und dem kleinen Mann – und der kleinen Frau – am Frühstückstisch servieren.
Wie schön waren die Zeiten, als dir und deinen Mannen das in Saus und Braus gelang. Einem von ihnen, Michael Graeter, dem Klatschreporter, der sie alle hatte und kannte, schrieb Helmut Dietl mit Baby Schimmerlos und der 80er-Jahre-Serie „Kir Royal“ sogar eine Rolle auf den Leib. Damals war die Leopoldstraße noch eine echte Flaniermeile, in deren Lokalen der Champagner in Strömen floss. Freddie Mercury zog nachts durch die Discos, und Giorgio Moroder nahm gemeinsam mit den Rolling Stones und Queen in seinem Studio im Arabellahotel die Platten auf. Schick, schick, Schickeria!
Am Ende nun hat dich sogar Anneliese Friedmann im Stich gelassen. Deine Verlegerin, sie konnte, sie wollte dich nicht länger mit ihrem Privatvermögen retten. Ach Spatzl, das soll es nun gewesen sein? Ja mei, kann man nichts machen. Servus, pfiati, Bussi, tschau.
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