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Kolumne KonversationDas Treueherz der Schnullerfee

Kolumne
von Natalie Tenberg

Ehrlichkeit ist meist anständig. Oft ist sie auch niedlich. Manchmal aber ist sie einfach nur unnötig.

Du hast ja gelogen!", sagte Hanno vor ein paar Tagen und schaute mich an, als bunkerte ich Uran unter meiner Türschwelle. "Wieso?", fragte ich ihn. "Vorhin noch", entrüstete er sich, "hast du behauptet, dass du am Samstag noch nichts vorhättest. Aber nun erzählst du Hilde, die ja angeblich eine ach so gute Freundin von dir ist, du wärst am Samstag ausgebucht."

"Ja und?", sagte ich, "was ist denn dabei? Ich bin doch keine Notenbank oder möchte einer Währung beitreten." Wenn Hanno schon gerne Abende lang auf unserem Sofa liegt und unser Leben beobachtet, meine Telefonate belauscht, dachte ich, könnte er dabei ruhig ein wenig Zurückhaltung beweisen. Selbstverständlich hatte er Recht, aber gleichzeitig Grund, sich aufzuregen? Lügen nämlich sind nicht so schlimm wie ihr Ruf und führen nicht unbedingt zu üblen Betrügereien. "Du sollst nicht lügen!", ermahne ich meine Tochter, wenn sie mal wieder behauptet, sich die Hände gewaschen zu haben, die definitiv kein Wasser, höchstens etwas Glitterseife gesehen haben.

Wenn ich aber ganz ehrlich wäre, würde mein, zugegeben nicht perfektes, pädagogisches Konzept zusammenbrechen: Natürlich gibt es keine Schnullerfee. Die Geschenke, die neulich vor der Tür standen, habe ich persönlich bei Kaisers gegen Treueherzen eingetauscht. Haare wachsen nicht schneller, wenn man jeden Tag eine Banane und einen Apfel isst oder die Spitzen abschneidet. Und leider sterben Menschen nicht nur nach einem langen, erfüllten Leben, sondern oft schon früher. Spätestens als mich meine Tochter vor ein paar Wochen anlächelte und sagte: "Mama, du bist schön, aber du bist auch alt", erinnerte ich mich daran, dass Ehrlichkeit in den meisten Situationen anständig, in anderen vielleicht niedlich ist, manchmal aber auch unnötig.

Bild: taz

Natalie Tenberg ist Redakteurin im Ressort tazzwei.

Dann nämlich, wenn eine leicht durchschaubare Unehrlichkeit zum geschmeidigen Zusammenleben beiträgt. Also erklärte ich Hanno: "Hilde wollte shoppen, Klamotten kaufen, Schuhe anprobieren, Spängchen anschauen, solche Sachen eben. Sie macht so etwas gern, ich überhaupt nicht. Sie weiß es und trotzdem fragt sie, ob ich mitkomme. So sind wir Freundinnen, wir fragen einander so etwas dauernd." "Umso mehr Grund, ehrlich zu sein." "Nein! Denn dann wären wir dauernd gezwungen, abzulehnen, oder ich müsste doch alle paar Wochen aus Höflichkeit mit Hilde einkaufen gehen, sie müsste jeden dritten Abend bei uns essen. Weder sie noch ich möchten dauernd ,nö' sagen. Und ,keine Lust' könnte auf die Dauer verletzen."

"Verstehe ich das richtig? Wenn du Hilde fragst, ob sie gerne hierherkommt, um mit euch zu essen, lügt sie dich an und sagt, sie kann nicht, obwohl sie dann alleine vor dem Fernseher isst? Und dir macht das gar nichts aus?" Hanno begreift das nur schwer. Der steht schließlich fünf Minuten später vor der Tür, wenn wir ihn fragen, ob er zu uns kommen möchte, und braucht anscheinend nie so etwas wie Einkehr und Ruhe. Nur gestern zierte er sich etwas. Er habe zu tun, meinte er, als ich fragte, ob er käme. "Wirklich?", hakte ich nach. "Ach was", sagte er. "In 15 Minuten bin ich bei euch."

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