Kolumne Jung und dumm: Die Gesellschaft als Rockerbewegung

Die Begleiterscheinungen von Terror nerven. Gleichzeitig wäre es am besten, man würde sich ein bisschen mehr verhalten wie Rockerbanden.

Rocker auf Motorrädern

Dies könnte das Abbild der Gesellschaft sein Foto: dpa

Am Terror sind das Schlimmste seine Begleiterscheinungen. Anders als früher kann man dubiose Plastiktüten zum Beispiel nicht mehr diskret und bequem am Bahnhofsklo deponieren, ohne gleich einen Großeinsatz der Polizei auszulösen. So kam es dann auch, und ich in Gewahrsam.

Der Beutel, dessen Inhalt hauptsächlich aus anderen Tüten bestand, wurde in kontrollierter Sprengung zu synthetischer Asche gewandelt; und ich erhielt zum ersten Mal seit der Sache mit dem Panzer wieder Gelegenheit, meinen Anwalt Dr. Hammertod zu sprechen. Der erkundigte sich nach diversen Parametern meines Befindens, wie Blutdruck, Gedanken und Strahlkraft, bevor er mich fragte: „Was ist fester: Ihr Schlaf oder Ihr Stuhl?“

Das wunderte mich. Was hatte es zu bedeuten? Und wenn das erst das Sichtbare gewesen sein sollte, was würde – alltäglich, unmerklich – noch kommen?

Einen zuverlässiger Gradmesser dafür, ob die (erweiterte) Gegenwart noch da ist, bilden Serienmorde. Im Moment ihrer Aufklärung sind sie schon historisch, und doch überkommt die meisten von uns ein kleiner Schock, wenn sie daran denken, dass im Dezember 2014 in Altenbeken ein Exemplar ihrer Spezies an einer angespitzten Fahrradpumpe sein Ende fand. So erhält die Zeit Bedeutung.

Neue Rockerbanden und die etablierte Szene

Dr. Hammertod ist ein vielbeschäftigter Mann; deswegen verliert er nicht viele Worte, was mir sehr angenehm ist. Zum Abschied empfiehlt er eine TV-Dokumentation, die er bei ZDFinfo gesehen habe: „Rockerkrieg“. Darin wird dargestellt, wie „migrantische“ Rockerbanden die „etablierte“ Szene, welche den „Kiez“ eigentlich so gut unter sich aufgeteilt hatte, „unter Druck“ bringen und destabilisieren – ein alarmierendes Phänomen, vor dem zu warnen das öffentlich-rechtliche Fernsehen eben nun mal gegründet wurde.

Wäre es nicht gewinnbringend, wenn die ganzen kleinen Laboratorien der Gesellschaft sich ein bisschen mehr wie Rockerbanden verhielten?

Dafür wird von einer Doku-Stimmen-Frau sicher hundertmal das Wort „Höllenengel“ gesagt, Spitznamen wie „Schnitzel-Walter“ und „Kevin Crime“ eingeführt und der Chefreporter der Zeitschrift Bikers News Michael Ahlsdorf interviewt, der sich mit „Höllenengeln“ wie „heißblütigen“ Türken auskennt, über Nietzsche promoviert und zwei Kochbücher verfasst hat. Da sage nochmal jemand, Geisteswissenschaftler hätten es schwer im Berufsleben.

Wäre es nicht gewinnbringend, so fragte ich mich auf der Rückfahrt, im Nachtzugabteil, in dem eine Rentnerin aus dem Teil Österreichs, aus dem die muffigen Bettlaken kommen, ihren nicht schlafen könnenden Sohn mit einer stetigen Zufuhr an Cola bei Laune hielt; wäre es nicht gewinnbringend, wenn die ganzen kleinen Laboratorien der Gesellschaft sich ein bisschen mehr wie Rockerbanden verhielten? Mit Kutten, Ehre und Codes? Wäre es nicht schön, alles, was da so unter, zwischen und durch uns durch brodelt, einmal fein deutlich zu etikettieren? „Ich bin dein Feind“, stünde da, „Ich bin der Koch“, oder „Ich bin ein Serienmörder“. Das könnte man dann wiederum einordnen.

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Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.

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