Kolumne Jung und dumm: Die dümmste Sorte Mensch
Es ist Sommer und sie sind wieder überall: Touristen. Das Travellertum hat einen ramponierten Ruf – vollkommen zurecht.
Der Tourist ist unbeliebt. Deswegen wird über ihn geschimpft. Davon bekam ein Bekannter schon vor zwei Jahren in Italien eine halbe Migräne und suchte in einer App gezielt nach möglichst passantenfreien Wegen, um zu den schönen, leeren, unberührten Spots zu gelangen, die anzusteuern waren.
Tourismuskritik ist in; bald wird man sie sogar in Herne und Alfeld betreiben (doch das Verbotene lockt umso mehr). Denn auch in Deutschland gibt es ihn jetzt überall, den Touristen. Bei jedem größeren Spaziergang fürchtet man, mit einer Schulklasse nach sonst wo mitgeschwemmt zu werden und noch einmal pubertieren zu müssen.
Der Tourist ist die dümmste Sorte Mensch. Er weiß nie, wo es langgeht, muss ständig aufs Klo oder essen, verplempert seine Zeit und verschleudert sein Geld. Woanders will er sich binnen weniger Tage mit aller Macht jene Realität einverleiben, die er zu Hause unter Aufbietung aller verfügbaren Wunschenergien schmerzfrei verdrängt. Einer zu sein ist Sünde, und gehobene Topcheckerkreise geben sich bei ihren Verreisungen daher immer schon den Ruch wahlweise des Residial-Neokolonisatorischen oder des Verschwindens. Es bleibt eine dumpfe Masse an formbaren Körpern.
Besonders das Travellertum hat einen ramponierten Ruf. Statt Sex, Drugs und derbe Beats zu konsumieren, fahren die jungen Leute heute – crazy! – mit Blablacar nach Slowenien, übernachten – freedom! – im Hostel, halten gestandenen Wirtschaftsbossen für viel – Geld! – darüber dann inspirierende Vorträge und glauben, dass sie existieren.
Bleiben Sie ruhig. Alles wird sich fügen.
Von Pauschalkritik hält sich diese Kolumne bekanntlich so fern wie von Zuckerersatzstoffen, Wasserkochern aus Plastik und allem, was Unglück bringt. Lieber möchte ich zusammen mit Ihnen auf die Feinheiten achten, was Ihr, was unser Leben gemeinsam wertvoll macht. Lassen Sie los, und wir schauen, wohin der Restschwung Sie schleudert. Bleiben Sie ruhig. Alles wird sich fügen.
Ein Beispiel aus Frankfurt mag das illustrieren. In der dort für 200 Millionen Euro aus der Stadtkasse wiederaufgebauten „neuen“ Altstadt mögen Kritiker nur ein sinnloses Großprojekt erkennen, ein deutschtümelndes Disneyland. Doch wie schlaue Bücher aus der Uni lehren, soll Disneyland nur verdecken, dass die ganze Gesellschaft ein einziges Disneyland ist.
In den Gassen der heilen Mittelalter-Welt ist es gespenstisch still. Nur wenige andere Leute sind anzutreffen. Mit denen aber gibt es ein recht vergnügliches Verfolgungsspiel. Unklar bleibt bis zum Schluss: Wer ist Tourist? Wer Pendler? Wer Hochzeitsgast? Wer wohnt hier? Wer schaut nur mal? Und wonach? Dem Viertel? Den Touristen? Oder bloß nach der drei Meter hohen Giraffe vor dem Steiff-Laden, die den zentralen Platz des Straßenzugs bewacht und für viertausend Euro gekauft werden kann?
Reichlich „Stoff“ für einen Lokalkrimi. Womöglich wohl doch besser wegfahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid