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Kolumne Im AugenblickWendländer Spezialitäten

Kolumne
von Ismail Ismail

Ich bin ins Wendland zur Kulturellen Landpartie gefahren, um ein bisschen Spaß zu haben. Aber es ist mehr daraus geworden.

Neue Lebendigkeit: Bei der Kulturellen Landpartie werden auch Besucher*innen aktiviert Foto: dpa

J edes Jahr in dieser Zeit besuchen die Menschen die Kulturelle Landpartie im niedersächsischen Wendland. Vorletztes Jahr war ich mit Freund*innen und unseren Fahrrädern zum ersten Mal da. Die Zugfahrt mit vielen Familien und deren Kindern war sehr entspannt, das Wetter herrlich. Die Natur war komplett grün bekleidet. Ausgangspunkt unserer Fahrradtour war Hitz­acker. Dort haben wir mit anderen Besuchern aus Lehm Figuren gebastelt. „So kann man die Erde spüren“, meinte der Mann, der fürs Lehm-Projekt zuständig war.

In einem anderen Dorf haben wir Eselreiter beim Wettrennen beobachtet, im nächsten einen Abstecher in eine Brauerei gemacht: Ein schönes Gefühl ist es, Bier zu trinken, zu dessen Herstellung man selbst beigetragen hat. Ein Dorf nach dem anderen, ein Erlebnis nach dem anderen, eine Spezialität nach der anderen, so ging unsere Tour, bis wir schließlich in Gorleben angekommen waren. Dort haben wir etwas zu Essen gekriegt und dabei Live-Musik gehört. Weil ich mich auf unserer Tour daran gewöhnt hatte, wollte ich dann wissen, was denn die Spezialität von Gorleben ist?

Die Antwort war: Atommüll.

Anders als Eselreiten, Bierbrauen oder Bogenschießen möchte man von dieser Spezialität weglaufen. Die Gorlebener können das aber nicht. Das ist ja ihr Zuhause.

Vor über 40 Jahren hatte der damalige christdemokratische Ministerpräsident Ernst Al­brecht die Entscheidung getroffen, in Gorleben ein Entsorgungszentrum für Atommüll zu errichten. Ob der Salzstock in Gorleben dafür geeignet ist, war schon zuvor unter den Wissenschaftlern umstritten gewesen, genau wie der Einsatz von Atomkraft zur Energiegewinnung.

Aber die Entscheidung wurde, wie viele andere, trotzdem getroffen. Um zu verstehen, wieso Gorleben, hilft vielleicht dieser Ausschnitt aus der taz: „Der – inzwischen gestorbene – Geologieprofessor Gerd Lüttig erinnerte sich in einem taz-Gespräch an eine Sitzung, in der Albrecht gesagt habe: ‚Jetzt haben wir dieses Morsleben direkt an der Zonengrenze. Wenn das mal absäuft, dann haben wir im Helmstedter Raum die verseuchten Wässer. Ich möchte jetzt die Ostzonalen mal richtig ärgern, nehmen wir Gorleben als Gegengewicht. Mal sehen, was herauskommt.‘“

Weil ich mich auf unserer Tour daran gewöhnt hatte, wollte ich dann wissen, was denn die Spezialität von Gorleben ist? Die Antwort war: Atommüll
Bild: Omar Akahare
Ismail Ismail

Ismail Ismail pendelt zwischen Lüneburg, Oldenburg und Hannover, wo er sich auf sein Studium vorbereitet. Was ihm unterwegs widerfährt und wem er begegnet, schreibt er hier auf.

Wäre das damals der eigentliche Grund für die Standortentscheidung gewesen? Aber wenn Albrecht auf diese grausame Weise gedacht haben sollte, warum bleibt das Entsorgungszen­trum auch nach der Wiedervereinigung in Betrieb?

Es lässt sich etwa so verstehen, dass die Regierungen nach Albrecht, der ja inzwischen auch schon gestorben ist, einfach weiter machen, was ihre Vorgänger geplant haben, gerade, wenn dagegen so heftig protestiert wird und ohne sich zu fragen, ob diese Entscheidung vernünftig war. Sondern weil sie einst getroffen worden ist. Also aus Prinzip.

Allerdings hat sich dabei gezeigt, dass Widerstand Leben ist, neues Leben: In jedem Dorf im Wendland kann man auch heute diese Lebendigkeit sehen und spüren. Ich habe noch nie so viele politisch aktive Menschen auf einem Ort gesehen. Menschen, die Freude an ihrer Arbeit hatten.

Die Kulturelle Landpartie

Die Kulturelle Landpartie im Wendland dauert noch bis zum 21. Mai 2018. Weitere Informationen: www.kulturelle-landpartie.de

Vor allem ist diese neue Lebendigkeit ansteckend: Ich bin hingefahren, um ein bisschen Spaß zu haben. Mein Freund hatte gehofft, schöne Motive fürs Fotografieren zu finden. Wir hatten aber beide nicht daran gedacht, dass wir nach dieser Tour darauf achten würden, welche Produkte wir kaufen oder welches Bier wir trinken, dass wir uns Tage lang danach mit der Tierhaltung in Deutschland beschäftigen, dass wir die Dörfer hier grundsätzlich anderes sehen würden.

Im Zug zurück nach Hause waren wieder viele Familien dabei. Deren Kinder hatten diesmal einen Sticker dabei – mit dem Motto: Atomkraft? Nein danke!

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