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Kolumne Hier und DortRevolution. Liebe. Krieg. Freiheit

Unsere Autorin wurde in Syrien geboren und sozialisiert. Nun hatte sie Geburtstag und glaubt, dass ein Mensch mit 35 Jahren vollständig sein kann.

Das Gedächtnis der Revolution liegt irgendwo zwischen hier und dort: ein Dorf in der syrischen Provinz Idlib, 2012 Foto: imago/EST&OST

M ein Gedächtnis ist fünfunddreißig Jahre alt geworden. Vier Jahre davon verbrachte es außerhalb Syriens; davon drei Jahre in Deutschland, wo es heute noch ist.

Mein Gedächtnis sieht aus, als hätte es Wurzeln in der Ewigkeit geschlagen. Die Ereignisse des einunddreißigjährigen Syrien-Lebens sind immens viele. Um in Deutschland ähnliche Erfahrungen zu machen wie in Syrien, würde ich noch viele Jahrzehnte benötigen.

Vielleicht übertreibe ich etwas, aber für mich ist die nicht allzu weit davon entfernte Realität: In Syrien wurde ich geboren, sozialisiert; dort war es, wo sich meine Persönlichkeit bildete und ich begann, produktiv zu arbeiten. Ich glaube daran, dass der Mensch bereits mit fünfunddreißig Jahren vollständig sein kann. Alles, was danach kommt, kann als eine Reihe kosmetischer Maßnahmen gelten. Am Kern der Persönlichkeit ändern solche Dinge nicht mehr viel. Wobei ich im Laufe der Jahre sicherlich feststellen werde, dass ich etwas von dem, was meine Persönlichkeit einst bestimmte, ablegen muss.

Die Verantwortung einer Generation

Ich gehöre einer Generation in Syrien an, die ihre eigene soziale und politische Revolution vorantreiben muss. Eine Generation, die mit der rückständigen Tradition brechen muss. Wir müssen mit dem Erbe der Diktatur Schluss machen. Mit anderen Worten: Meine Generation muss ihre Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen wahrnehmen. Wir müssen lernen, dass der Weg zur Demokratie schwierig und lang ist.

Zwischen hier und dort gibt es ein Gedächtnis der Revolution, der Liebe und des Krieges. Das dürfte ein Titel für einen Roman werden.

Die Revolution ist die Freiheit, in deren Genuss ich erst kam, als ich mit Tausenden Menschen auf die Straßen von Damaskus ging und rief: „Das Volk will …!“ Ja, wir sind das Volk, und wir wollen etwas. Aber was die Despoten und die ausländischen Mächte wollen, ist etwas anderes oder – besser gesagt – sind andere Dinge. Letztere wollten noch nie das, was das Volk anstrebte. Uns blieb und bleibt nichts anderes, als weiter unsere Forderung zu erheben.

Was Liebe ist

Die Liebe ist der Augenblick, in dem du den Menschen findest, der dich vor der Kugel des Scharfschützen bewahrt, damit du weiterlebst, während er fällt. Das prägt dein Gedächtnis für immer. Liebe ist, wenn jemand zu dir steht und dich nicht verrät, auch wenn diese aufrechte Haltung ins Gefängnis führt. Liebe ist, wenn jemand mehr als fünf Jahre lang die Schläge des Folterknechts für dich einsteckt, nur damit du in Freiheit lebst.

Krieg ist, wenn sich die Schurken dieser Erde mit dem Despoten gegen dich vereinigen. So können sie kollektiv deine Revolution und deine Liebe vergewaltigen und den Volkswillen in niederträchtige Ziele umwandeln.

All dies und mehr war dort. Hier schreibe ich seit einem Jahr diese Kolumne. Ich hoffe, es ist mir gelungen, etwas von dem, was dort passierte, zu beschreiben. Sollte ich eines Tages nach Syrien zurückkehren, würde ich in einer der syrischen Zeitungen für die, die dort geblieben sind, eine Kolumne mit dem Titel „Hier und dort“ schreiben.

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Kefah Ali Deeb
Kefah Ali Deeb wurde 1982 in Latakia, Syrien, geboren und ist 2014 nach Berlin geflohen. Sie ist bildende Künstlerin, Aktivistin und Kinderbuchautorin, außerdem Mitglied des National Coordination Committee for Democratic Change in Syrien.  
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