Kolumne Henningway: Australien und der Sport
Eine Reise durch Down Under zeigt: Es gibt viele Formate beim Cricket, zwei verschiedene Rugby-Arten und Melbourne hat 30 Profiteams.
S port ist die Kultur hier, sagt mir Sally, die Mutter eines jungen Basketballtrainers, den ich in Sydney am Ende der Reise durch Australien treffe. Durch Australien? Mit dem Auto von Melbourne über Canberra bin ich die knapp 1.000 Kilometer hierhergekommen. Das ist in etwa so, als ob man in Deutschland durch das Saarland tourt. Oder vielleicht auch nur durch Saarbrücken fährt.
David, der Sportbeamte aus Melbourne, den ich am Anfang der Reise getroffen habe, kennt die Probleme mit den Maßstäben, die die Europäer Down Under haben. Können die nicht Landkarten lesen? Von Perth nach Melbourne, erklärt er mir, dauert es im Flieger vier Stunden. So lange geht der Flug von London nach Moskau. Entfernungen und Raum sind ein Thema hier. In sechs Bundesstaaten und zwei Territorien ist das Land unterteilt.
Gewohnt wird fast ausschließlich am Meer. Und dort nicht überall. Wo dem so ist, in den sechs Zentren des Landes, ballt es sich und franst an den Rändern mächtig aus. Die vielen, vielen Autos müssen ja irgendwohin. ln Melbourne wollen sie, sagt mir Justin aus dem Ministerium, jetzt vermehrt in die Höhe bauen, die Stadt wird bis 2050 zehn Millionen Einwohner haben, doppelt so viele wie heute. Mieter, Fußgänger und Fahrradfahrer haben es jetzt schon schwer in Sydney und Melbourne. Der öffentliche Nahverkehr hilft ihnen nur bedingt.
Australien Football heißt „Footy“
Sport schafft Abhilfe. Alle reden mit über den Sport und haben starke Meinungen, ob Jung oder Alt, Frau wie Mann, frisch eingewandert oder respektabler Abkömmling eines Sträflings – wunderbar! Melbourne allein hat 30 Profiteams, neun davon in der Sportart Nummer eins im Bundesstaat Victoria, im Australian Football, kurz Footy genannt. Jeder hier hat sein Team in der AFL, der Profiliga mit den Spielern, die Shirts ohne Ärmel tragen. In die Clubs wird man hineingeboren, die sucht man sich nicht aus.
Henning Harnisch ist ehemaliger Basketballnationalspieler und Vizepräsident des Bundesligisten Alba Berlin. Er schreibt künftig jeden zweiten Donnerstag im Monat für die Printausgabe über die Bereiche Kultur, Sport und Pädagogik.
Es ist Off-Season, doch allein die Geschichten um die Teams, das sich gegenseitige Necken und Sticheln, zeugt von lebendiger Kultur jenseits aktueller Tabellenlage und kreiert Sehnsucht nach mehr. Collingwood beispielsweise wird gehasst oder geliebt. Warum das so ist, ist ein wenig kompliziert und bleibt es auch.
Ähnlich verhält es sich mit dem Unterschied zwischen Rugby League und Rugby Union, den beiden konkurrierenden Rugby-Arten. Nach den ersten fünf Gesprächen bitte ich, das zu erklären, ohne dass dabei der Begriff Working Class fällt. Von Cricket gar nicht zu reden, so viele Formate und Spielmöglichkeiten gibt es hier: Club, Nationalmannschaft, Liga im Ausland, alles gleichzeitig betrieben, in drei unterschiedlichen Zeitkategorien, von drei Stunden bis zu fünf Tagen.
Die Cafes schließen um 15 Uhr, alle wollen in den Pub
In Sydney wie in Melbourne schließen die vielen Cafés schon um drei Uhr am Nachmittag und die Museen um fünf. Dem Erstbesucher eines Landes erschließt sich nicht alles sofort. Der Verdacht liegt aber nahe, dass es die Mitarbeiter dieser Orte wohin treibt: in den Pub. Manchmal ist dieser Pub ein Stadion, wo Cricket, Rugby und AFL laufen. Oder einmal im Jahr im Januar die Australian Open.
Während sich da der schlaksig wie smoothe Grieche Tisitsipas mit seiner herrlich geschwungenen einhändigen Rückhand bei Gluthitze mittags auf dem Center Court der Rod Laver Arena mit Grandezza gegen den Spanier Roberto Bautista Agut ins Halbfinale schwitzt, sitzen unter dem schützenden wie rahmenden Dach die Zuschauer, werden wohlig klimatisiert, schlürfen Unmengen von Bier und laben sich an Aperol Spritz oder anderen Mixgetränken aus Dosen. Alle bleiben zivilisiert. Sport ist die Kultur in Australien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja