Kolumne Henningway: Ich pfeife, also bin ich
Im Spiel soll Fluss entstehen. Das ist die Hauptaufgabe eines Schiedsrichters. Christoph Schröder hat ein schönes Buch darüber geschrieben.
![Ein Basketballspieler und ein Schiedsrichter sprechen miteinander Ein Basketballspieler und ein Schiedsrichter sprechen miteinander](https://taz.de/picture/2727391/14/schiri2.jpeg)
I ch pfeife. Also bin ich.
Ich pfeife. Ich schreibe diesen sehr kurzen Satz und gucke ihn mir von allen Seiten an. Ich pfeife. Wie klingt das denn? Aktiv klingt es. Und manch einer sieht mich nun zwitschernd, eine Melodie auf den Lippen, durch die Welt laufen. Das meine ich aber nicht. Ich pfeife, also bin ich, darum geht es. Ich bin Schiedsrichter.
Mehrmals im Jahr packe ich morgens meine Pfeife und mache mich auf den Weg, in einer Schulturnhalle ein Turnier der Grundschulliga zu pfeifen. Das macht Spaß, wirklich! Mal gibt es ein Foul oder einen Schrittfehler zu pfeifen, ganz viel lasse ich durchgehen, quatsche mit Spielern, Lehrern und Trainern und sehe die Kernaufgabe meines Tuns darin, dass sich ein Fluss im Spiel entwickelt und alle etwas davon haben. Am Ende klatschen wir uns ab.
Welt aus Regeln, Macht und Autorität
Ich bin über eine Schwelle gegangen. Wer Schiedsrichter werden will, muss über viele dieser (kulturellen) Schwellen gehen. Immer tiefer hinein in eine Welt aus Regeln, Macht und Autorität. So dachte ich. Wer fühlt sich davon angezogen? Fragte ich mich. Eine Welt aus Grautönen. Es fängt schon mit dem Wort Schiedsrichter an. Manch Begriffe kriegt man nicht mehr neutralisiert oder gar ins positive gedreht.
Ich bin einer von den Menschen, der etwas und die Ausmaße davon erst dann richtig realisiert, wenn er es selber tut. Was wusste ich denn schon von Schiedsrichtern? Bis dato nicht viel. Wo kaufen die ihre Pfeifen? Warum geht es da modisch so zu? Und warum sind sie, je höher sie pfeifen, so ultra slimfit wie moderne Manager und ziehen schweigend ihre Rollköfferchen samt Geheimauftrag durch die Gegend? Seitdem ich selber pfeife, ist mir einiges klar geworden. Und seitdem ich ein bestimmtes Buch gelesen habe ebenso.
„Ich pfeife!“, so heißt zu Recht mit Ausrufezeichen der Titel eines Buches von Christoph Schröder. Der Autor, Literaturkritiker von Beruf, pfeift seit Jahrzehnten Fußballspiele im hessischen Amateurbereich. Schröder ist im Gegensatz zu mir ein echter Schiedsrichter, über alle Schwellen ist er gegangen, ausgebildet und lizensiert vom Verband. Er gibt der Tätigkeit mit Pfeife eine subjektive Stimme mit phänomenologischer Substanz.
„Verliebt in ungewöhnliche Sportplätze“
Er schreibt darüber, wie er Schiedsrichter geworden ist, wie er sich auf Spiele vorbereitet (ausgetüftelte Rituale!), was er im Laufe seiner Karriere auf den Plätzen und drumherum so alles erleben durfte. Und er schreibt wie unterschiedlich doch Fußballplätze sein können und was das für ihn bedeutet: „Ich bin verliebt in ungewöhnliche Sportplätze. In ihre Lage, in die Art und Weise, wie sie in, neben, an oder über einen Dorf plaziert sind, in die Kuriosität ihrer Beschaffenheit, in die Eigenheit ihrer Spieloberflächen, in die Besonderheit ihrer Ausmaße, in die Art und Weise, wie sie in die Umgebung hineingesetzt sind.“
Dies ist ein wunderbares Buch, weil es vieler solcher Stellen gibt, weil es klug und humorvoll geschrieben ist, und weil man durch die Lektüre eine Menge über ein Thema lernen kann, das literarisch bisher eher im Abseits stand.
Schiedsrichter sind die Hüter der Regeln. Doch sind sie nicht in Wahrheit die edlen Hüter des Spiels? Achten sie nicht darauf, dass es läuft, dass es alles so läuft, wie das Spiel es haben will? Geschätzt nullkommaeins Prozent der Schiedsrichter ist in einer anderen Welt unterwegs: eine Welt der Extreme und des Profisports, inklusive der Rollköfferchen. Um die geht es nicht. Es geht um die, die Spiele jenseits der großen Bühne leiten. Sie sollen sich unbedingt angesprochen fühlen, wenn ich sage: Ihr lieben Pfeifen, wir brauchen unbedingt ein neues Wort für das, was ihr da löblicherweise im Sinne der Gesellschaft tut.
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